Dante Alighieri - Opera Omnia >>  Die Göttliche Komödie
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DAS FEGEFEUER
 
Übersetzt von Carl Streckfuß
 
 
 
ERSTER GESANG
 

    Zur Fahrt in bess’re Fluten aufgezogen
Hat seine Segel meines Geistes Kahn,
Und läßt nun hinter sich so grimme Wogen.

     Zum zweiten Reiche hin geht seine Bahn,
Wohin zur Reinigung die Geister schweben,
Um würdig dann dem Himmelreich zu nah’n.

     Doch hier mag sich die tote Dichtung heben,
O heil’ge Musen, da ich euer bin!
Hier mög’ empor Kalliopeia streben!

     Sie folge mir mit jenem Ton dahin,
Des Streich, die armen Elstern einst erschreckend,
Verzweiflung bracht’ in ihren stolzen Sinn.

     Des Saphirs holde Farbe, ganz bedeckend
Des reinen Äthers heiteres Gebäu
Und bis zum ersten Kreise sich erstreckend,

     Erschuf vor mir der Augen Wonne neu,
Sobald ich jetzt der toten Luft entklommen,
Die Aug’ und Brust getrübt in Nacht und Scheu.

     Der schöne Stern, der Lieb’ erregt, entglommen
Im Osten, hatt’ in Lächeln ihn verklärt,
Die Fisch’ umschleiernd, die mit ihm gekommen.

     Dann rechts, dem andern Pole zugekehrt,
Erblickt’ ich eines Viergestirnes Schimmer,
Des Anschau’n nur dem ersten Paar gewährt.

     Der Himmel schien entzückt durch sein Geflimmer.
O du verwaistes Land, du öder Nord,
Du siehst den Glanz der schönen Lichter nimmer.

     Als ich darauf vom Viergestirne fort
Ein wenig hin zum andern Pole sah,
Da war verschwunden schon der Wagen dort.

     Und einen Greis, allein, sah ich mir nahe,
Der Ehrfurcht also wert an Mien’ und Art,
Daß mir, als ob’s mein Vater sei, geschähe.

     Lang war, mit weißem Haar vermischt, sein Bart
Und gleich dem Haar des Haupts, das, niedersinkend
Als Doppelstreif, der Brust zur Hülle ward.

     Sein Angesicht, die heil’gen Strahlen trinkend
Des Viergestirnes, war so schön und klar,
Als sah’ ich es, vom Schein der Sonne blinkend.

     "Wer seid ihr, die ihr fortflieht, wunderbar,
Aus ew’ger Haft, dem blinden Strom entgegen"
Er sprach’s, bewegt des Bartes greises Haar,

     "Wer leitet’ euch? Wer leuchtet’ euren Wegen,
Daß ihr entstiegt den Schatten tiefer Nacht,
Die, ewig achwarz, der Hölle Täler hegend

     Verlor des Abgrunds Satzung ihre Macht?
Hat neuer Ratschluß durch der Hölle Pforte
Verdammt’ in meine Grotten hergebracht?"--

     Hier fühlt’ ich mich erfaßt von meinem Horte,
Und ehrerbietig macht er Brau’n und Knie
Mir alsogleich mit Hand und Wink und Worte

     Und sprach: "Nicht durch mich selber bin ich hie;
Ein Weib kam bittend aus den höchsten Sphären,
Darob ich diesem mein Geleit verlieh.

     Doch da’s dein Will’ ist, daß ich dich belehren
Von unserm wahren Zustand soll, wie mag
Mein Will’ ein andrer sein, als zu gewähren!

     Nicht sahe dieser noch den letzten Tag,
Doch war er nah ihm, so vom Wahn verblendet,
Daß er gewiß in kurzer Frist erlag.

     Um ihn zu retten, ward ich abgesendet,
Und hierzu fand ich diesen Weg nur gut,
Auf welchem ich mich jetzt hierher gewendet.

     Ich zeigt’ ihm schon der Sünder ganze Brut,
Nun aber ist er die zu sehn bereitet,
Die hier sich läutern unter deiner Hut.

     Lang wär’s zu sagen, wie ich ihn begleitet.
Kraft kam von oben, helfend, daß ich ihn,
Um dich zu hören und zu sehn, geleitet.

     Laß dir’s gefallen, daß er hier erschien.
Er sucht die Freiheit--wie sie wert zu halten,
Weiß, wer um sie des Lebens sich verzieh’n.

     Du weißt’s, du ließest gern sie zu erhalten,
In Utica die Hülle blutbenetzt,
Die hell am großen Tag sich wird entfalten.

     Nicht ward der ew’ge Schluß von uns verletzt.
Er lebt und mich hält Minos nicht gefangen.
Ich bin vom Kreis, wo deine Martia jetzt,

     Noch keuschen Aug’s, dir ausspricht das Verlangen,
O heil’ge Brust, als dein sie anzusehn,
Drum woll’ uns, ihr zuliebe, wohl empfangen.

     Laß uns durch deine sieben Reiche gehn,
Dann grüß’ ich sie von dir in jenen Hallen,
Willst, dort erwähnt zu sein, du nicht verschmäh’n."

     "Gefiel auch", sprach er, "Martia mir vor allen,
Da ich gelebt, so daß ich ihr erwies,
Wodurch ich irgend wußt’, ihr zu gefallen,

     Doch jetzt nicht mehr bewegen darf mich dies,
Da sie dort wohnt jenseits der nächt’gen Wogen,
Wie festgesetzt ward, als ich sie verließ.

     Doch hat ein Himmelsweib dich hergezogen,
Wie du gesagt, was braucht’s da Schmeichelei’n?
Sie will, dies g’nügt, und treulich wird’s vollzogen

     Drum geh, zum weitern Weg ihn einzuweih’n.
Ihn muß ein Gurt von glatter Bins’ umschnüren,
Dann wasch ihm das Gesicht vom Schmutze rein.

     Das Aug’ umnebelt, will sich’s nicht gebühren,
Zum ersten Diener, der vom sel’gen Land
Herabgekommen ist, ihn hinzuführen.

     Rings trägt der kleinen Insel tiefster Strand,
Wo Wog’ und Woge sich im Wechsel jagen,
Viel Binsen am morastig weichen Rand.

     Die andern Pflanzen, welche Blätter tragen
Und sich verhärten, kommen da nicht auf,
Wo’s gilt, sich schmiegen, wenn die Wellen schlagen.

     Doch kehrt von dort nicht rückwärts euren Lauf;
Die Sonne zeigt--seht, dort ersteht sie eben!--
Euch dann den leichtern Weg den Berg hinauf."

     Hier sah ich ihn vor meinem Blick verschweben;
Stumm stand ich auf und sah auf meinen Hort,
In seinen Schutz und Willen ganz ergeben.

     Er sprach: "Sohn, folge mir jetzt rückwärts. Dort
Neigt mehr und mehr die Ebene sich immer
Nach ihren letzten tiefsten Grenzen fort."

     Schon trieb das Morgenrot mit lichtem Schimmer
Die Frühe vor sich her, und vom Gestad
Erkannt’ ich weit hinaus des Meers Geflimmer.

     Nun gingen wir dahin auf ödem Pfad,
Wie wer, verirrt, zum rechten Wege schreitend,
Sein Gehn umsonst glaubt, bis er ihn betrat.

     Wir sahn den Tau bald, mit der Sonne streitend,
Doch, weil er dort an schatt’ger Stelle war,
Sich minder schnell in leichtem Dunst verbreitend.

     Worauf mein Hort mit seiner Hände Paar
Sanft die zerstreuten, weichen Gräser deckte,
Drob ich, denn seinen Vorsatz nahm ich wahr,

     Ihm die betränte Wang’ entgegenstreckte.
Rein wusch er mir die Farbe der Natur,
Die erst der Schmutz der Hölle ganz versteckte.

     Nun gingen wir dahin auf öder Flur
Am Strande fort, der nie ein Schiff erblickte,
Das wieder heim zum Vaterlande fuhr.

     Dort, so wie der geboten, der uns schickte,
Umgürtet er mit schwachen Binsen mich,
Und wo er nur die niedre Pflanze knickte,

     Erhob sie neu aus ihrer Wurzel sich.



ZWEITER GESANG
 

    Sol war zum Horizont herabgestiegen,
Des Mittagskreis, wo er am höchsten steht,
Sieht unter sich die Feste Zions liegen.

     Nacht, welche sich ihm gegenüber dreht,
War mit der Wag’ am Ganges vorgegangen,
Die, wenn sie zunimmt, ihrer Hand entgeht.

     Drum hatten Eos weiß’ und rote Wangen
Dort, wo ich war, weil ihre Jugend schwand,
In hohem Gelb zu schimmern angefangen.

     Wir waren noch am niedern Meeresstrand,
Und gingen, ob des fernen Wegs in Sorgen,
Im Herzen fort, indes der Körper stand.

     Und wie in trüber Röte, wenn der Morgen
Sich nähert, Mars, im Westen, nah dem Meer
Sich zeigt, von dichten Dünsten fast verborgen,

     So sah ich jetzt ein Licht--o säh’ ich’s mehr!
Und eilig, wie kein Vogel je geflogen,
Glitt’s auf des Meeres glattem Spiegel her.

     Als ich von ihm die Augen abgezogen
Ein wenig hatt’ und zu dem Führer sprach,
Schien’s heller dann und größer ob den Wogen.

     Dann auf des Lichtes beiden Seiten brach
Ein weißer Glanz hervor, und er entbrannte,
Wie’s näher kam, von unten nach und nach.

     Mein Meister, der nach ihm sich schweigend wandte,
Solang der Flügel erstes Weiß erschien,
Rief, wie er nun den hehren Schiffer kannte:

     "O eile jetzt, o eile, hinzuknien!
Sieh Gottes Engel! Falte deine Händel
Nun siehst du solche Gottes Wink vollziehen.

     Sieh, er verschmäht, was Menschenwitz erfände.
Nicht Segel, Ruder nicht--sein Flügelpaar
Braucht er zur Fahrt ans ferneste Gelände.

     Sieh, wie’s gen Himmel strebt so schön und klar!
Die Luft bewegt das ewige Gefieder,
Das nicht sich ändert wie der Menschen Haar."

     Und wieder naht’ er sich indes und wieder
In hellerm Glanz, daß näher solchen Schein
Mein Auge nicht ertrug, drum schlug ich’s nieder.

     Und leicht und schnell sah ich durch ihn allein
Das Schiff des Eilands niedern Strand gewinnen,
Auch drückt’ es kaum die Spur den Fluten ein.

     Und als ein Sel’ger stand vor meinen Sinnen
Am Hinterteil des Schiffes Steuermann,
Und mehr als hundert Geister saßen drinnen.

     "Als aus Ägypten Israel entrann";
Die Schar, gewiß, das Ufer zu erreichen,
Fing diesen Psalm einstimm’gen Sanges an.

     Er macht’ auf sie des heil’gen Kreuzes Zeichen,
Drum warf sich jeder hin am Meeresbord,
Dann sah man ihn schnell, wie er kam, entweichen.

     Fremd schienen alle, welche blieben, dort,
Und um sich blickend sah ich sie verweilen,
Wie den, der Neues sieht am fremden Ort.

     Von allen Seiten schoß mit Feuerpfeilen
Den Tag die Sonne, die vom Meridian
Den Steinbock schon gezwungen, zu enteilen

     Da hoben, die wir eben kommen sahn,
Nach uns die Stirn empor mit diesem Worte:
"Zeigt uns, dafern ihr könnt, zum Berg die Bahn."

     Erwidert ward darauf von meinem Horte:
"Wißt, wenn ihr wähnt, wir wüßten hier Bescheid;
Wir sind so fremd wie ihr an diesem Orte.

     Denn kurz vorher, eh’ ihr gekommen seid,
Sind auf so rauhem Weg wir angekommen,
Daß hier zu klimmen Spiel, nicht Müh’ und Leid."

     Wie jene nun am Atmen wahrgenommen,
Daß ich noch lebe, schienen sie bewegt,
Ja, vor Erstaunen ängstlich und beklommen.

     Und wie dem Boten, der den Ölzweig trägt,
Die Menge folgt, voll Neubegier sich pressend,
Und Tritt’ und Stöße sonder Scheu erträgt,

     So drängten jetzt, mich mit den Augen messend,
Zu mir die hochbeglückten Seelen sich,
Beinah den Gang zur Reinigung vergessend.

     Hervor trat eine jetzt, so inniglich
Mich zu umarmen, mit so holden Mienen,
Daß mein Verlangen ganz dem ihren glich.

     Leere Schatten, die Gestalt nur schienen!
Dreimal halt’ ich die Hände hinter ihr,
Und dreimal kehrt’ ich zu der Brust mit ihnen.

     Das Antlitz, glaub’ ich, malt’ Erstaunen mir,
Und jenen sah ich lächelnd rückwärts schweben,
Doch folgt’ ich ihm mit liebender Begier.

     Und lieblich hört’ ich ihn die Stimm’ erheben:
"Sei ruhig!" Da erkannt’ ich ihn und bat,
Er möge weilen und mir Antwort geben.

     "Dich lieb’ ich," sprach er, als ich ihn genaht,
"Wie einst im Leib, so jetzt der Haft entbunden,
Drum weil’ ich--doch was gehst du diesen Pfad?"

     "O mein Casella, hier nur eingefunden
Hab’ ich mich, um zur Welt zurückzugehn.
Doch wie bist du beraubt so vieler Stunden?"

     Und er: "Drob ist kein Unrecht mir gescheh’n.
Mußt’ er auch öfters mich zurückeweisen,
Der mit sich fortnimmt, wann er will und wen.

     Denn sein Will’ ist nur der des Ewig-Weisen.
Und seit drei Monden hat er gern gewährt,
Wenn irgendwer verlangt hat, mitzureisen.

     Auch mich, der ich mich zu dem Strand gekehrt,
Wo salzig wird der Tiber süße Welle,
Empfing er liebevoll, da ich’s begehrt.

     Jetzt schwebt er wieder hin zu jener Stelle,
Wo er vereint mit freudigem Empfang
Die, so nicht Sünde stürzt zur Nacht der Hölle."

     Und ich: "Hat dir nicht jenen Liebessang,
Den du geübt, ein neu Gesetz entrissen,
Der öfters mir gestillt des Herzens Drang,

     So laß mich jetzt nicht seinen Trost vermissen;
Denn meine Seele, die der Leib umflicht,
Schwebt, da sie hier erscheint, in Kümmernissen."

     "Die Liebe, die zu mir im Herzen spricht
Begann er jetzt, und ach, die süße Weise
Verklingt noch jetzt in meinem Innern nicht.

     Mein Herr und ich, wir standen still im Kreise
Der andern dort und alle so beglückt,
Als kennten wir kein andres Ziel der Reise,

     Nur seinen Tönen horchend, hochentzückt.
Da sieh bei uns den ehrenhaften Alten:
"Was, träge Geister, ist’s, das euch berückt?

     Nachlässige, so lang’ euch aufzuhalten!
Zum Berg hin, wo man frei der Hüllen wird,
Die Gottes Anblick noch euch vorenthalten!

     Wie wenn, von Weizen oder Lolch gekirrt,
Die Tauben still im Stoppelfelde schmausen
Und keine mehr umherstolziert und girrt,

     Dann aber, wenn erscheint, wovor sie grausen,
Sie alle jäh, mit größrer Sorg’ im Sinn,
Von ihrer Weid’ empor im Fluge brausen;

     So lief die Schar der Seelen jetzt dahin,
Vom Sange fort, zum Berge sonder Weile,
Wie wer da läuft, allein nicht weiß wohin;

     Wir aber folgten mit nicht mindrer Eile.



DRITTER GESANG
 

    Trieb jähe Flucht auch alles, was vereinigt
Beim Sänger war, zerstreut jetzt durch den Plan
Dem Berge zu, wo die Vernunft uns peinigt,

     Doch drängt’ ich mich dem treuen Führer an.
Wie könnt’ ich ihn auch bei der Reife missen?
Wie kam ich wohl ohn’ ihn den Berg hinauf?

     Er schien gepeinigt von Gewissensbissen.
würdig reine Seele, wie empört,
Wie quält der kleinste Fehler dein Gewissen!

     Als seines Laufes Eil’ nun aufgehört,
Bei welcher Würd’ im Anstand nimmer waltet,
Da ward mein Geist, verengt erst und verstört,

     Zum Streben neu erweitert und entfaltet,
Und, das Gesicht dem Berge zugewandt,
Sah ich, dem Himmel zu, ihm hochgestaltet.

     Die Sonne, hinter mir in rotem Brand,
War vor mir, nach Gestaltung und Gebärde,
Gebrochen, da mein Leib ihr widerstand.

     Und bang, daß ich allein gelassen werde,
Kehrt’ ich mich schleunig seitwärts, da ich sah,
Beschattet sei vor mir allein die Erde.

     "Was argwöhnst du" begann mein Tröster da,
Zu mir gewandt, erratend, was ich dachte,
"Glaubst du, ich sei dir nicht, wie immer, nah?

     Dort liegt der Leib, in dem ich Schatten machte,
An Napels Strand, den jetzt schon Nacht umflicht,
Wohin man einst von Brindisi ihn brachte.

     Beschatt’ ich jetzt vor mir die Erde nicht,
So staune nicht darum--deckt doch der Schimmer
Des einen Himmels nie des andern Licht.

     Dergleichen Körper schafft der Herr noch immer,
Damit sie dulden Hitz’ und Frost und Pein,
Doch wie er’s macht, entschleiert er uns nimmer.

     Tor, wer da hofft, er dring’ in alles ein
Mit der Vernunft, selbst in endlose Sphären,
Wo er, der Ew’ge, einer ist in drei’n.

     Strebt, Menschen, doch das Wie nicht aufzuklären;
Denn wär’s gestattet, alles zu erschau’n,
Nicht brauchte dann Maria zu gebären.

     Wohl mancher dürft’ auf seinen Geist vertrauen,
Dem noch die Sehnsucht, alles zu erkunden,
Geblieben ist zu ewiglichem Grau’n.

     Du weißt, wo wir den Plato aufgefunden
Und manchen sonst." Er schwieg, die Stirn geneigt,
Und alle Heiterkeit schien ihm geschwunden.

     Wir kamen hin, von wo man aufwärts steigt.
Dort oben ist der Fels so steil gelegen,
Daß sich kein Raum zu einem Dritte zeigt.

     Der rauhste von den öden Felsenwegen
Inmitten Lerci und Turbia schmiegt
Sich sanft und leicht, stellt man ihn dem entgegen.

     "Wer weiß, zu welcher Hand der Hang sich biegt."
Der Meister sprach’s und hielt jetzt ein im Schreiten,
"So daß auch der hinauf kann, der nicht fliegt?"

     Er ließ indes den Blick zum Boden gleiten
Und nahm im Geist des Pfades Prüfung wahr.
Doch ich sah aufwärts nach des Berges Seiten,

     Und da erschien mir linksher eine Schar,
Die schien so langsam zu uns her zu schweben,
Daß kaum Bewegung zu bemerken war.

     "Laß," sprach ich, "Meister, deinen Blick sich heben,
Die Rat erteilen können, nahen schon,
Dafern du nicht vermagst, ihn selbst zu geben."

     Frei schaut’ er auf, und alle Sorgen floh’n.
"Nur langsam". sprach er, "geht ihr Gang vonstatten,
Drum gehn wir hin. Getrost jetzt, süßer Sohn!"

     Wir waren noch entfernt von jenen Schatten
Und ihnen etwa steinwurfweit genaht,
Als wir getan an tausend Schritte hatten.

     Da drängten alle sich ans Felsgestad
Und standen still und dicht, uns zugewendet,
Wie wen Bedenken hemmt auf seinem Pfad.

     "O Auserwählte, die ihr wohl geendet,"
Begann Virgil, "wie einst euch Friede jetzt,
Den, wie ich glaube, Gott euch allen spendet,

     So zeigt uns des Gebirges Abhang jetzt
Und laßt uns einen Weg nach oben sehen,
Denn Zeitverlieren schmerzt den, der sie schätzt."

     Gleichwie die Schäflein aus dem Stalle gehen,
Eins, zwei und drei, indessen noch verzagt
Die andern mit gebeugten Köpfen stehen,

     Bis was das erste tat, nun jedes wagt,
Wenn jenes harrt, geduldig die Beschwerde
Des Drangs erträgt und nach dem Grund nicht fragt;

     So sah ich jetzt von der beglückten Herde
Die vordem sich bewegen und uns nah’n,
Das Antlitz züchtig, ehrbar die Gebärde.

     Wie sie das Licht zur Rechten meiner Bahn
Geteilt und, als des Erdenleibes Zeichen,
Die Felsenwand von mir beschattet sahn,

     Sah ich sie stehn und etwas rückwärts weichen.
Die andern wußten zwar nicht, was gescheh’n,
Doch alle taten sie sofort desgleichen.

     "Ohn’ eure Frage will ich euch gestehn,
Noch einem Menschen ist der Körper eigen,
Von welchem ihr das Licht geteilt gesehn.

     Doch laßt Verwunderung und Staunen schweigen;
Nicht ohne Kraft, die Gott nur geben kann,
Sucht er die schroffe Wand zu übersteigen."

     Mein Hort sprach’s, und die würd’ge Schar begann,
Uns mit der Hände Rücken Zeichen gebend:
"Kehrt wieder um und schreitet uns voran!"

     Und einer drauf, zu mir die Stimm’ erhebend:
"Wer du auch seist, blick’ um, mich anzuschau’n,
Besinne dich: Sahst du mich jemals lebend`?"

     Ich wandt’ auf ihn die Augen voll Vertrau’n.
Blond war er, schön, von würdigen Gebärden,
Doch war gespalten eine seiner Brau’n.

     Demütig sagt’ ich, daß ich ihn auf Erden
Niemals gesehn; da aber hieß er mich
Aufmerksam auf die Wund’ am Busen werden,

     Und lächelnd sprach er dann: "Manfred bin ich!
Wenn dich zur Welt zurück die Schritte tragen,
Zu meiner Tochter geh, ich bitte dich,

     Die unterm Herzen jenes Paar getragen,
Das Aragonien und Sizilien ehrt,
Ihr Wahres, wenn man andres sagt, zu sagen.

     Als zweimal mich durchbohrt des Feindes Schwert,
Da übergab ich weinend meine Seele
Dem Richter, der Verzeihung gern gewährt.

     Oh groß und schrecklich waren meine Fehle,
Doch groß ist Gottes Gnadenarm und faßt,
Was sich ihm zukehrt, so daß keiner fehle.

     Und wenn Cosenzas Hirt, der sonder Rast,
Wie Clemens wollte, mich gejagt, dies eine
Erhabne Wort der Schrift wohl aufgefaßt,

     So lägen dort noch meines Leibs Gebeine
Am Brückenkopf bei Benevent, vom Mal
Geschützt der schweren aufgehäuften Steine.

     Nun netzt’s der Regen, dorrt’s der Sonnenstrahl,
Dort, wo er’s hinwarf mit verlöschten Lichten,
Dem Reich entführt, entlang dem Verdetal.

     Doch kann ihr Fluch die Seele nicht vernichten,
Aus welcher nicht die frohe Hoffnung weicht,
An ew’ger Liebe neu sich aufzurichten.

     Wahr ist’s, daß, wer im Kirchenbann erbleicht,
War’ auch zuletzt in ihm die Reu’ entglommen,
Doch dieser Felswand Höhe nicht erreicht,

     Bis dreißigmal die Zeit, seit ihm genommen
Der Kirche Segen ward, verflossen ist,
Kürzt diese Zeit nicht ab das Fleh’n der Frommen.

     Sieh, ob du mir zum Heil gekommen bist,
Wenn du Konstanzen, wie du mich gesehen,
Entdeckst und ihr verkündest jene Frist,

     Denn viel gewinnt man hier durch euer Flehen."



VIERTER GESANG
 

    Wenn etwas, was uns wohltut oder kränkt,
Uns eine Seelenkraft in Aufruhr brachte,
Und sich die Seel’ in diese ganz versenkt,

     Dann scheint’s, als ob sie keiner andern achte;
Und dies beweist genugsam gegen den,
Der uns belebt von mehrern Seelen dachte.

     Indem wir etwas hören oder sehn,
Was stark uns anzieht, ist die Zeit verschwunden,
Bevor wir’s glauben und es uns versehn.

     Denn anders wird die Kraft, die hört, empfunden,
Und anders unsrer Seele ganze Kraft;
Frei ist die erste, diese scheint gebunden.

     Davon erhielt ich jetzo Wissenschaft--
Indessen ich gehorcht und stillgeschwiegen,
Weil Staunen mir die Seele hingerafft,

     War fünfzig Grad’ die Sonn’ emporgestiegen,
Eh’ ich’s bemerkt--da ward ein Ruf mir kund
Von den gesamten Seelen: "Seht die Stiegen!"

     Die Öffnung, die mit einem Dorngebund,
Wenn sich die Traube bräunt, die Winzer schließen,
Ist weiter oft als hier der Felsenschlund,

     Durch welchen uns die Seelen klimmen hießen.
Er vor, ich folgend, stiegen wir allein
Den Felsweg, da die ändern uns verließen.

     Empor zu Bismantova und bergein
Bei Noli kann man auf den Füßen dringen,
Doch wer hier aufstrebt, muß beflügelt sein;

     Ich meine, mit der großen Sehnsucht Schwingen,
Die mich dem Führer nachzog mit Gewalt,
Der Licht mir gab und Hoffnung zum Gelingen.

     Wir stiegen innerhalb dem Felsenspalt,
Von ihm bedrängt, und fanden kaum mit Händen
Und Füßen unter uns am Boden Halt.

     Nachdem wir aus den rauhen. schroffen Wänden
Emporgelangt zum offenen Gestad,
Da fragt’ ich: "Meister, sprich, wohin uns wendend"

     Und er: "Mir nach, zur Höhe geht dein Pfad!
Rückwärts darf keiner deiner Schritte weichen,
Bis irgendwo ein kund’ger Führer naht!"

     Den Gipfel konnte kaum der Blick erreichen;
Die Seite ging, stolz, senkrecht fast, hinan,
Dem Hang der Pyramide zu vergleichen.

     Ich war bereits ermattet und begann:
"O süßer Vater, peinlich wird die Reife!
Schau’ her und sieh, daß ich nicht folgen kann!"

     "Bis dorthin schleppe dich!" So sprach der Weise
Und zeigt’ auf einen Vorsprung nahe dort,
Von dem es schien, daß er den Berg umkreise.

     Mir war ein Sporn des edlen Meisters Wort,
Mit aller Kraft die Reise fortzusetzen;
So kroch ich bis zum Bergesgürtel fort.

     Und dort verweilten wir, um uns zu setzen,
Ostwärts, nach dem erklommnen Pfad gewandt,
An dem sich gern der Wandrer Blicke letzen.

     Die Augen kehrt’ ich erst zum tiefen Strand,
Dann als ich sie zur Sonn’ emporgeschlagen,
Die uns zur Linken, Gluten sprühend, stand,

     Da sah Virgil, daß ich des Lichtes Wagen
Anstaunte, weil er zwischen Mitternacht
Und unserm Standort schien dahinzujagen,

     Und sprach: "Wenn jenem Spiegel ew’ger Macht
Castor und Pollux jetzt Begleiter wären,
Ihm, welcher auf- und abführt Licht und Pracht,

     So würd’ er, kreisend näher bei den Bären,
Wenn er vom alten Weg nicht abgeirrt,
Mit seiner Glut den Zodiak verklären.

     Bedenke nur, wenn dich dies Wort verwirrt,
Daß dieser Berg mit Zions heil’gen Höhen
Begrenzt von einem Horizonte wird,

     Doch beid’ auf andern Hemisphären stehen;
Die Bahn, die Phaethon, der Tor, durchreist,
Ist drum von hier zur linken Hand zu sehen,

     Indes sie dorten sich zur rechten weist--
So hoff ich denn, daß du zur klaren Kenntnis,
Wenn du wohl aufgemerkt, gefördert seist."

     "Gewiß, mir ward so klar noch kein Verständnis
Als hier," begann ich, "wo mir dein Beweis
Ersetzt den Mangel eigener Erkenntnis.

     Der ewigen Bewegung mittler Kreis,
Den man Äquator in der Kunst benannte,
Der fest bleibt zwischen Sonn’ und Wintereis,

     Zeigt, wie ich wohl aus deiner Red’ erkannte,
Sich nordwärts hier, wie ihn die Juden sahn,
Wenn sich ihr Antlitz gegen Süden wandte.

     Doch sprich, wie weit hinauf geht unsre Bahn?
Denn sieh, so hoch, wie kaum die Augen kommen,
Steigt ja des Berges Gipfel himmelan."

     Und er: "Wer ihn zu steigen unternommen,
trifft große Schwierigkeit an seinem Fuß,
Die kleiner wird, je mehr man aufgeklommen.

     Drum, wird dir erst die Mühe zum Genuß,
Erscheint dir’s dann so leicht, emporzusteigen,
Als ging’s im Kahn hinab den muntern Fluß,

     Dann wird sich bald das Ziel des Weges zeigen,
Dann wirst du sanft von deinen Mühen ruh’n.
Dies ist gewiß, vom andern will ich schweigen."

     Er sprach’s, und eine Stimm’ ertönte nun
Ganz nah bei uns: "Eh’ ihr so weit gegangen,
Wird euch vielleicht zu sitzen nötig tun."

     Wir sahn dorthin, woher die Wort’ erklangen,
Und linkshin lag ein Felsenblock uns nah,
Der bis dahin mir und auch ihm entgangen.

     Hin schritten wir und fanden Leute da
Verdeckt vom Felsen und in seinem Schatten,
In welchen ich ein Bild der Trägheit sah.

     Und einer, wie im gänzlichen Ermatten,
Saß dorten und umarmte seine Knie,
Die das gesunkne Haupt inmitten hatten.

     "Der ist gewiß der Faulheit Bruder! sieh,"
Begann ich, "sieh nur hin, mein süßer Leiter,
Denn sicher sahst du einen Trägern nie."

     Da kehrt’ er sich zu mir und dem Begleiter,
Hob, doch nur bis zum Schenkel, das Gesicht
Und sprach: "Bist du so stark, so geh nur weiter."

     Und da erkannt’ ich ihn und säumte nicht,
Noch atemlos vom Klettern, vorzustreben
Bis hin zu ihm, und sah ihn, als ich dicht

     Schon bei ihm stand, das Haupt kaum merkbar heben.
"Zur Linken fährt der Sonnenwagen fort,"
Begann er nun, "hast du wohl acht gegeben?"

     Ich mußte lächeln bei dem kurzen Wort
Und bei den faulen, langsamen Gebärden;
Worauf ich sprach: "Belaqua, dieser Ort

     Bezeugt mir deutlich, du wirst selig werden.
Doch sprich: harrst du des Führers sitzend hier?
Wie? oder treibst du’s hier noch wie auf Erden?"

     "Bruder," sprach er, "was hilft das Steigen mir?
Ich würde doch zur Qual nicht kommen sollen,
Denn Gottes Pförtner weist mich weg von ihr.

     Hier außen muß um mich der Himmel rollen,
So oft als er im Leben tat, da spät
Und erst im Tod mein Herz bereuen wollen,

     Wenn mir nicht früher beispringt das Gebet,
Das sich aus gläub’ger Brust emporgerungen.
Was hülf ein andres, da es Gott verschmäht?"

     Schon war vor mir Virgil hinaufgedrungen,
Und rief: "Jetzt komm, schon hat in lichter Pracht
Die Sonne sich zum Mittagskreis geschwungen,

     Und Mauritanien deckt der Fuß der Nacht."



FÜNFTER GESANG
 

    Schon hatt’ ich, auf der Spur des Führers steigend,
Mich ganz von jenen Seelen abgewandt,
Als ein’, auf mich mit ihrem Finger zeigend,

     Mir nachrief: "Seht den untern linker Hand
Die Sonne teilen und den Grund beschatten
Und tun, als lebt’ er noch in jenem Land."

     Sobald mein Ohr erreicht die Töne hatten,
Kehrt’ ich mich ihnen zu, und jene sahn
Erstaunt nur mich, nur mich und meinen Schatten.

     Da sprach Virgil: "Was zieht dich also an,
Daß du den Gang zum Gipfel aufgeschoben"
Und jenes Flüstern, was hat dir’s getan?

     Was man auch spreche, folge mir nach oben!
Steh wie ein fester Turm, des stolzes Haupt
Nie wankend ragt, wenn auch die Winde toben.

     Das Ziel entweicht, dem man sich nah geglaubt,
Wenn sich Gedanken und Gedanken jagen
Und einer stets die Kraft dem andern raubt."

     "Ich komme schon!" Was könnt’ ich anders sagen,
Da mich mein Fehler zum Erröten zwang,
Das oft mir schon Verzeihung eingetragen?

     Indessen sahn wir quer am Bergeshang
Nah vor uns eine Schar von Seelen kommen,
Die Vers für Vers ihr Miserere sang.

     Wie sie an meinem Leibe wahrgenommen,
Daß er den Strahlen undurchdringlich sei,
Da ward ihr Sang zum Oh! lang und beklommen.

     Und, gleich Gesandten, kamen ihrer zwei,
Uns beide zu befragen, wer wir wären,
In vollem Laufe bis zu uns herbei.

     Da rief Virgil: "Ihr könnt zurückekehren.
Sein Leib ist wirklich ganz von Fleisch und Bein,
Und solches mögt ihr jenen dort erklären.

     Und wenn sie, wie ich glaube, dort allein,
Um seinen Schatten anzusehn, verweilen,
So wissen sie genug, um froh zu sein."

     Und schnell hingleitend, wie, gleich Feuerpfeilen,
Entflammte Dünste, wenn die Nacht beginnt,
Durchs heitere Gewölb des Himmels eilen;

     So kehrten sie empor, um dann geschwind
Sich mit den andern nach uns umzudrehen,
Gleich einer Schar, die ohne Zaum entrinnt.

     "Sieh, viele kommen jetzt, dich anzuflehen,
In dichtem Drang," so sprach mein Meister drauf,
"Doch geh nur immer fort und horch im Gehen."

     "O du, der du zum Heil den Berg herauf
Die Glieder trägst, die immer dich umfingen,"
So riefen sie, "hemm’ etwas deinen Lauf.

     Sieh, um zur Welt von uns Bericht zu bringen,
Uns an--erkennst du Antlitz und Gestalt?
Was weilst du nicht? Was eilst du, vorzudringen?

     Getötet sind wir alle durch Gewalt.
Der Sünd’ uns bis zur letzten Stunde weihend,
Allein im Tod von Himmelsglanz umwallt,

     Verstarben wir, bereuend und verzeihend,
Und fühlten Gottes Frieden und das Licht,
Nach seinem Anschau’n Sehnsucht uns verleihend."

     Und ich: "Zwar kenn’ ich keinen von Gesicht,
Doch fordert nur, ihr, die ihr wohl geboren,
Und das, was ich vermag, verweigr’ ich nicht.

     Bei jenem Frieden sei es euch beschworen,
Den ich, fortklimmend auf des Führers Spur,
Von Welt zu Welt, zum Ziele mir erkoren."

     Darauf begann der eine: "Hindert nur
Nicht Ohnmacht deinen Willen, so vertrauen
Wir dem, was du versprachst, auch ohne Schwur.

     Und solltest du, ein Lebender, die Auen
Der Mark Ankona jemals wiedersehn
So will ich fest auf deine Güte bauen.

     Laß die von Fano gläubig für mich fleh’n,
Daß mir gestatten himmlische Gewalten,
Zur Reinigung von schwerer Schuld zu gehn.

     Von dort war ich--allein die tiefen Spalten,
Woraus das Blut, in dem ich lebte, floß,
Hab’ ich in Paduas Bezirk erhalten,

     Des Schoß mich, den Vertrauenden, umschloß.
Zum Mord hatt’ Este den Befehl gegeben,
Der mehr der Gall’, als Recht, auf mich ergoß.

     Den Mordstahl sah ich bei Oriac sich heben,
Doch wenn ich Mira mir zur Flucht erkor,
So würd’ ich dort noch, wo man atmet, leben.

     Ich lief zum Sumpf, und dort, in Schlamm und Rohr,
Verstrickt’ ich mich und fiel und sah die Erde
Rings um mich her gemacht zum blut’gen Moor."

     Ein andrer: "Wie dein Wunsch befriedigt werde,
Des Fittich hin zum Bergesgipfel fleugt,
So kürz’ auch mir mitleidig die Beschwerde.

     In Montefeltro hat mich Guid’ erzeugt;
Ach wenn Johannen noch mein Schicksal rührte,
Nicht ging’ ich mehr mit diesem hier gebeugt."

     "Welche Gewalttat, welch Verhängnis führte,"
So sprach ich, "dich so weit vom Campaldin,
Daß niemand noch bis jetzt dein Grab erspürte."

     "Oh," sprach er drauf, "am Fuß des Casentin
Strömt vor der Archian, ein Fluß, entsprungen
Beim Kloster oberhalb im Apennin.

     Bis dorthin, wo sein Namenslaut verklungen,
Floh ich, durchbohrt den Hals, zu Fuße fort;
Und blutleer schon, von Todesfrost durchdrungen,

     Verlor ich dorten Augenlicht und Wort,
Um in Marias Namen wohl zu enden,
Und fiel und ließ die leere Hülle dort.

     Da fühlt’ ich mich in eines Engels Händen,
Doch schreiend fuhr ein Teufel auch herzu:
"Wie, du vom Himmel, willst mir den entwenden?

     Wahr ist’s, was ewig ist, erbeutest du
Nur durch ein Tränlein, das ihn mir entzogen,
Doch gönn’ ich nun dem andern keine Ruh’."

     Du weißt, wenn feuchten Dunst emporgezogen
Die Sonne hat, so stürzt er, wenn ihn dann
Die Kälte faßt, zurück in Regenwogen.

     Zum Willen nun, der stets nur Böses sann,
Fügt’ er Verstand, und Rauch und Sturm erregte
Die Kraft in ihm, die sie erregen kann.

     Als drauf der Tag erloschen war, belegte
Er Pratomagnos Tal mit schwarzem Duft,
Der vom Gebirg sich drohend herbewegte.

     Zu Fluten wurde nun die schwangre Luft,
Zum Strombett rann, was von den Regengüssen
Der Grund nicht trank, hervor aus Tal und Kluft.

     Der Archian, gleich andern großen Flüssen,
Ergoß zum Königsstrom den Sturmeslauf,
Dem Fels und Baum zertrümmert weichen müssen.

     Wie nun den starren Leib, nicht weit herauf
Von seiner Mündung, jene Flut gefunden,
Da löste sie das Kreuz am Busen auf,

     Das ich gemacht, da Schmerz mich überwunden,
Und wirbelte zum Strom die träge Last.
Dort liegt sie nun im Grund, von Schlamm umwunden."

     Als drauf der dritte Geist das Wort gefaßt,
Sprach er: "Wenn du, zur Welt zurückgekommen,
Erst ausgeruht vom langen Wege hast,

     So laß dein Hiersein auch der Pia frommen.
Siena gebar, Maremma tilgte mich,
Und er, von dem ich einst den Ring bekommen,

     Der Treue Pfand, er weiß, wie ich erblich."



SECHSTER GESANG
 

    Wenn Spieler sich vom Würfelspiel entfernen,
Bleibt, der verlor, betrübt und ärgerlich
Und wirft und wirft, um’s besser zu erlernen

     Doch alles drängt um den Gewinner sich.
Der folgt und sucht, wie er sein Kleid erlange,
Ein andrer, seitwärts, spricht: Gedenk’ an mich.

     Doch er verweilt nicht, hört auf keinen lange,
Und wem er etwas gibt, der macht sich fort;
So kommt er los vom lästigen Gedrange.

     So war ich in dem dichten Haufen dort,
Und mußte hier den Kopf und dorthin wenden
Und löste mich durch manch Verheißungswort;

     Sah Benincasa, der den Wütrichshänden
Des Ghin erlag, und sah darauf auch ihn,
Des Los war, jagend in der Flut zu enden.

     Novelle bat mich flehend, zu verzieh’n;
Auch der von Pisa dann, durch den der gute,
Der wackere Marzucco stark erschien.

     Graf Orfo auch, und der im Frevelmute
Vertilgt ward, wie er sagt’, aus Neid und Groll,
Nicht weil auf ihm ein schwer Verbrechen ruhte,

     Den Broccia mein’ ich--mag sich demutsvoll
Zur Reue die Brabanterin bequemen,
Wenn sie zu schlechterm Troß nicht kommen soll.

     Kaum war ich frei von allen jenen Schemen,
Die dort mich angefleht, zu fleh’n, daß sie
Zur Heiligung mit größrer Eile kämen;

     Da sprach ich: "Du, der stets mir Licht verlieh,
Hast irgendwo in deinem Werk geschrieben,
Den Schluß des Himmels beuge Flehen nie.

     Doch hörtest du, wozu mich diese trieben.
Täuscht nun vielleicht die Hoffnung diese Schar?
Ist unklar mir vielleicht dein Sinn geblieben?"

     "Nicht täuscht sie Hoffnung, und mein Wort ist klar,"
So sprach er drauf, "du magst es nur betrachten
Mit hellem Geist, so wird dir’s offenbar.

     Ist für gebeugt das strenge Recht zu achten,
Wenn das erfüllt der Liebe heißer Trieb,
Was jenen oblag und sie nicht vollbrachten?

     Da, wo ich jenen Grundsatz niederschrieb,
Da sühnte man durch Bitten keine Sünden,
Weil ungehört von Gott die Bitte blieb.

     Doch kannst du jetzt so tiefes nicht ergründen,
So harr’ auf sie, die zwischen deinem Geist
Und ew’ger Wahrheit wird ein Licht entzünden.

     Beatrix ist’s, wenn du’s vielleicht nicht weißt,
Die Lächelnde, Beglückte, die zu sehen
Des hohen Berges Gipfel dir verheißt."

     Und ich: "Mein Meister, laß uns schneller gehen!
Mir kehrt die Kraft, die kaum noch unterlag,
Und sieh, schon werfen Schatten jene Höhen."

     "Wir gehn soweit als möglich diesen Tag,"
Entgegnet’ er, "doch andres wirst du finden,
Als eben jetzt dein Geist sich denken mag.

     Die Sonne, deren Strahlen jetzt verschwinden,
So, daß zugleich dein Schatten flieht, sie kehrt,
Bevor wir uns empor zum Gipfel winden.

     Doch eine Seele sieh, uns zugekehrt,
Allein, betrachtend, wie du dich bewegtest.
Gewiß, daß sie den nächsten Weg uns lehrt."

     O Geist von Mantua, wie du lebend pflegtest,
So bliebst du stolzen, strengen Angesichts,
Indem du langsam ernst die Augen regtest.

     Er ließ uns beide gehn und sagte nichts,
Gleich einem Leu’n, der ruht, uns still betrachtend
Mit scharfem Strahle seines Augenlichts.

     Allein Virgil, nur nach der Höhe trachtend,
Befragt’ ihn: "Wo erklimmt man diese Wand?"
Doch jener, nicht auf seine Fragen achtend,

     Fragt’ uns nach unserm Leben, unserm Land.
Und: "Mantua"--begann nun mein Begleiter;
Da hob der Schatten, erst in sich gewandt,

     Sich schnell vom Sitz und ward teilnehmend heiter.
"Sordell bin ich, dein Landsmann!" rief er aus,
Und, selbst umarmt, umarmt’ er meinen Leiter--

     Italien, Sklavin, Schlund voll Schmerz und Graus,
Schiff ohne Steurer auf durchstürmten Meeren,
Nicht Herrscherin der Welt, nein, Hurenhaus;

     Wie sah ich jenen Schatten dort, den hehren,
Beim süßen Klange seiner Vaterstadt
Hereilen, um den Landsmann froh zu ehren.

     Doch deine Lebenden sind nimmer satt,
Im tollen Kampf sich wechselweis zu morden,
Selbst die umschlossen eine Mauer hat.

     Elende, such’ an deinen Meeresborden,
Im Innern such’ und keinen Winkel letzt
Des Friedens Glück im Süden und im Norden.

     Was hilft dir’s, da dein Sattel unbesetzt,
Daß Justinian die Zügel dir erneute?
Ohn’ ihn wär’ minder deine Schande jetzt.

     Ihr hattet längst mit frommem Sinn, ihr Leute,
Zu Cäsars Sitz den Sattel eingeräumt,
Verstündet ihr, was Gottes Wort bedeute.

     Seht, wie das wilde Tier sich tückisch bäumt,
Seit niemand es die Sporen fühlen lassen,
Und ihr es, die ihr’s zähmen wollt, entzäumt.

     O deutscher Albrecht, der dies Tier verlassen,
Das drum nun tobt in ungezähmter Wut,
Statt mit den Schenkeln kräftig es zu fassen,

     Gerechtes Strafgericht fall’ auf dein Blut
Vom Sternenzelt, auch sei es neu und offen,
Dann ist dein Folger wohl auf seiner Hut.

     Was hat dich und den Vater schon betroffen,
Weil ihr, verödend diese Gartenau’n,
Nach jenseits nur gestellt das gier’ge Hoffen.

     Komm her, der Philipeschi Stamm zu schau’n
Leichtsinniger, komm, sieh die Cappelletten,
Die schon gebeugt, und die voll Angst und Grau’n!

     Komm, Grausamer, die Treuen zu erretten!
Sieh, ungestraft drängt sie der schnöde Feind!
Sieh Santafior in wilder Räuber Ketten!

     Komm her und sieh, wie deine Roma weint,
Und höre Tag und Nacht die Witwe stöhnen:
Mein Cäsar, ach, warum nicht mir vereint?

     Komm her und sieh, wie alle sich versöhnen,
Komm her, und fühlst du dann auch Mitleid nicht,
So schäme dich, daß alle dich verhöhnen.

     Verzeih, o höchster Zeus im ew’gen Licht,
Der du für uns gekreuzigt wardst auf Erden,
Ist anderwärts gewandt dein Angesicht?

     Wie? oder soll aus schrecklichen Beschwerden,
Ein neues Heil, von keinem Aug’ entdeckt,
Nach deinem tiefen Rat bereitet werden?

     Wie voll Italien von Tyrannen steckt!
Will sich ein Bauer der Partei verschwören,
Gleich heißt’s von ihm, Marcell sei auferweckt.

     Du, mein Florenz, du kannst dies ruhig hören,
Da dieser Abschweif nimmer dich berührt.
Nie ließ sich ja dein wackres Volk betören.

     Gerechtigkeit hegt vieler Herz, nur spürt
Man etwas spät, wie sehr es ihr gewogen,
Indes dein Volk sie stets im Munde führt.

     Wenn Bürgerämtern viele sich entzogen,
Nimmt sie dein Volk freiwillig an und schreit:
Seht her, mich hat die Bürde krumm gebogen!

     Nun freue dich, wenn du verdienest Neid,
Du Reiche, du Friedselige, du Weise--
Ich red’ im Ernst, die Wahrheit liegt nicht weit.

     Man spreche von Athen und Sparta leise!
Sollt’ ihr Gesetz wohl wert der Rede sein,
Wie sehr man’s anpreist, neben deinem Preise?

     Das, was du vorkehrst, ist gar dünn und fein;
Denn wenn du’s im Oktober angesponnen,
Zerreißt es im November kurz und klein.

     Wie oft hast du geendet und begonnen,
Hast über Münz’ und Art, Gesetz und Pflicht,
Und Haupt und Glieder anders dich besonnen;

     Bist du nicht völlig blind für jedes Licht,
So mußt du dich gleich einer Kranken sehen.
Ruh’ findet sie auf ihren Kissen nicht

     Und wendet sich, den Schmerzen zu entgehen.



SIEBENTER GESANG
 

    Nachdem sie würdig und voll Freudigkeit
Drei-, viermal mit den Armen sich umgaben,
Da trat Sordell zurück: "Sprecht, wer ihr seid?"

     "Eh’ sich zu diesem Berg gewendet haben
Die Seelen, welche Gott zu schauen wert,
Hat Octavianus mein Gebein begraben.

     Ich bin Virgil.--Des Himmels Eingang wehrt
Mir Glaubensmangel nur, nicht andre Sünde,"
So sprach Virgil, als jener es begehrt.

     Als ob ein Wunder plötzlich hier entstünde,
Bei dem man sagt: Es ist! dann: Es ist nicht!
Und staunend glaubt, und nicht, daß man’s ergründe;

     So schien Sordell--dann neigt’ er das Gesicht,
Worauf er zu den Knien Virgils sich beugte
Und ihn umflocht, wo man den Herrn umflicht.

     "O Latiums Ruhm, du, dessen Werk bezeugte,
Wie reich die Sprache sei an Kraft und Zier,
O ew’ger Preis der Stadt, die mich erzeugte,

     Bringt mein Verdienst, mein Glück dich her zu mir?
Und wenn ich wert mich solcher Huld erweise,
So sprich, auf welchem Wege bist du hier?"

     Virgil darauf: "Ich kam durch alle Kreise
Des wehevollen Reichs in dieses Land,
Und Himmelskraft bewegte mich zur Reise.

     Nicht Tun, nein. Nichttun nur, hat mich verbannt,
Hinab verbannt von hoher Sonne Strahlen,
Die du ersehnst, die ich zu spät erkannt,

     Zu jenen tiefen nachterfüllten Talen,
Zum Ort, wo leises Seufzen nur ertönt,
Nicht Weheruf, noch Angstgeschrei von Qualen;

     Wo um mich her die Schar der Kindlein stöhnt,
Die ungetauft aus jener Welt geschieden,
Mit Gott für Adams Schuld noch unversöhnt.

     Wo die sind, die mit ird’schem Wert zufrieden,
Die Tugenden, bis auf die heil’gen Drei,
Sämtlich geübt und jede Schuld gemieden.

     Doch, wenn du kannst, so bring’ uns Kunde bei,
Um schneller uns zu unserm Ziel zu leiten,
Wo wohl der Läut’rung wahrer Anfang sei."

     Und er: "Ich darf umher und aufwärts schreiten,
Denn kein gewisser Ort ist uns bestimmt.
Soweit ich gehn darf, will ich dich begleiten.

     Doch sieh, wie schon des Tages Licht verglimmt,
Drum ist auf guten Aufenthalt zu sinnen,
Weil man bei Nacht nicht in die Höhe klimmt.

     Dort rechts sind Seelen, nicht gar weit von hinnen;
Zu diesen, wenn du einstimmst, führ’ ich dich,
Und denke wohl, du wirst dabei gewinnen."--

     Virgil: "Wenn’s Nacht wird, steigt man nicht? So sprich,
Erliegt vielleicht die Kraft dann der Beschwerde?
Wie, oder widersetzt dann jemand sich?"

     Mit seinem Finger streifte nun die Erde
Sordell und sprach: "Nicht hoffe, daß bei Nacht
Dein Fuß den Strich nur überschreiten werde.

     An Steigen hindert sonst dich keine Macht
Als Dunkelheit, die, wie sie uns ermattet,
Verwirrt durch Ohnmacht unsern Willen macht.

     Hinabzugehn und rückwärts ist gestattet,
Und irrend ringsumher zu gehn am Bord,
Wenn auch ihr Schleier noch die Welt umschattet."

     Mein Meister stand erst wie bewundernd dort;
"Wie du versprachst," So hört ich drauf ihn bitten,
"Geleit’ uns an den angenehmen Ort."

     Wir waren eben noch nicht weit geschritten,
Da war ein hohler Raum am Berg zu sehn,
Ein Tal, das dort den Felsenrand durchschnitten.

     "Dorthin", So sprach der Schatten, "laß uns gehn,
Seht dort den Berg von einer Höhlung teilen,
Dort sehen wir den Morgen auferstehn."

     Ein krummer Fußpfad führte zwischen steilen
Felshöh’n und Ebene zum Rand der Schlucht,
Da hieß Sordell am Abhang uns verweilen.

     Gold, feines Silber und des Coccums Frucht,
Bleiweiß und Indiens Blau in hellster Reine,
Smaragd, zerbrochen kaum--in dieser Bucht,

     Bei dieses Grases, dieser Blumen Scheine
Schwänd’ ihrer Farben ganzer Glanz dahin,
Wie seinem Größern unterliegt das Kleine;

     Nicht war Natur allein hier Malerin,
Mit laufend wunderbar gemischten Düften
Ergötzte sie auch des Geruches Sinn.

     Salve, Regina, tönt’ es in den Lüften
Von Seelen auf dem blumenreichen Beet,
Versteckt hierinnen zwischen Felsenklüften.

     "Bevor die Sonne ganz zu Rüste geht,
Gehn", sprach Sordell, "wir nicht hinab zu ihnen,
Denn, wenn ihr hier auf diesem Felsen steht,

     Erkennt ihr besser aller Art und Mienen,
Als sie im Tale selber, im Gedrang
So vieler großer Schatten euch erschienen.

     Der höher sitzt und scheint, als hätt’ er lang
Versäumt, wozu ihn seine Pflicht verbunden,
Und nicht den Mund regt bei der andern Sang,

     Jst Kaiser Rudolf, der Italiens Wunden
Zu heilen zwar vermocht, doch nicht geheilt,
So daß es spät durch andre wird gefunden.

     Der, dessen Anblick jetzt ihm Trost erteilt,
Einst Herr des Landes, das der Fluß durchschneidet,
Der in die Elb’, in ihr zur Meerflut eilt,

     Hieß Ottokar--mit Windeln noch umkleidet,
Weit besser doch, als Wenzeslaus, sein Sohn,
Der Bärt’ge, der an Üppigkeit sich weidet.

     Der Kleingenaste dort--von Reich und Thron
Scheint’s, daß er mit dem andern, Güt’gen spreche--
Starb fliehend, zu der Lilien Schmach und Hohn.

     Er schlägt die Brust, als ob das Herz ihm breche.
Den andern fehl--es ruhet sein Gesicht
In seiner aufgestützten Linken Fläche.

     An Frankreichs Aussatz, an den Bösewicht,
Den Sohn und Eidam, denken sie, des Leben
Voll Schmutz und Schmach sie feindlich quält und sticht

     Den Gliederstarken sieh! Mit dem daneben,
Dem Adlernas’gen, singt er im Akkord
Und ragt’ einst hoch in jedem wackern Streben.

     Und könnt’, als er verstarb, der Jüngling dort,
Der hinten sitzt, den Königsthron ererben,
So ging von Stamm zu Stamm die Tugend fort.

     Jakob und Friederich, die andern Erben,
Sie sollten zwar des Thrones Herrlichkeit,
Doch nicht des Vaters bessres Gut erwerben.

     Denn selten nur soll Menschenredlichkeit,
Nach Gottes Schluß, neu aus der Wurzel Schlagen,
Weil er sie nur auf frommes Fleh’n verleiht.

     Dem Adlernas’gen ist dies auch zu sagen,
So gut als feiern, welcher mit ihm singt,
Weshalb Provence und Puglien sich beklagen,

     Weil so viel schlechtem Keim sein Same bringt,
Als höher sich Konstanzas Gatt’ im Preise
Vor Beatrixens und Margretens schwingt.

     Den König seht von schlichter Lebensweise,
Der einsam sitzt, Heinrich von Engelland,
Vergnügt, daß sich ihm gleich sein Sproß erweise.

     Der tiefer sitzt, den Blick emporgewandt,
Ist Markgraf Wilhelm, welchen noch die Seinen
In Montferrat, in Canaveser Land

     Und Alessandrias Tück’ und Krieg beweinen.



ACHTER GESANG
 

    Die Stunde war es, die zu stillem Weinen
Vor Heimweh den gerührten Schiffer zwingt,
Am Tag, da er verließ die teuren Seinen,

     Die Liebesleid dem neuen Pilgram bringt,
Wenn fernher, klagend ob des Tags Erbleichen,
Der Abendglocken Trauerlied erklingt.

     Jedweder Laut schien mit dem Licht zu weichen,
Und eine von den Seelen trat hervor
Und heischt’ Aufmerksamkeit mit einem Zeichen

     Und naht’ und hob die beiden Händ’ empor,
Als sagte sie: Du, Gott, nur bist mein Trachten!
Indem ihr Blick im Osten sich verlor.

     Te Lucis Ante--diese Worte brachten
Dann ihre Lippen vor. So fromm, so schön,
Daß sie mich meiner Selbst vergessen machten.

     Mit andachtsvollem lieblichem Getön
Stimmt’ ein der Chor zu reicher Wohllauts Fülle,
Den Blick emporgewandt zu Himmelshöh’n.

     Die Wahrheit liegt hier unter leichter Hülle;
Ist, Leser, jetzt dein Blick nur scharf und klar,
So wirst du leicht erspäh’n, was sie verhülle.

     Demütig, bleich, sah ich die edle Schar
Nach oben schau’n, erwartungsvoll und schweigend,
Und sah aus himmlischem Gewölb’ ein Paar

     Von Engeln durch die Luft herniedersteigend,
Zwei Flammenschwerter zwar in ihrer Hand,
Allein mit abgebrochnen Spitzen zeigend;

     Grün wie das Laub, das eben erst entstand,
Und, von der grünen Flügel Weh’n getrieben,
Nach hinten zu leicht flatternd das Gewand.

     Der eine blieb nah über uns, und drüben,
Jenseit des Tales, blieb der andre stehn,
So, daß die Schatten in der Mitte blieben.

     Ich konnte wohl die blonden Häupter sehn,
Doch am Gesicht verging mein Blick, geblendet,
Wie oft die Sinn’ am Übermaß vergehn.

     "Dies Paar ist aus Marias Schoß gesendet,
Zur Hut des Tales, weil die Schlange naht."
So sprach Sordell, uns beiden zugewendet.

     Und ich, der ich nicht wußt’, auf welchem Pfad,
Ich schaut’ umher, indem ich starr vor Grauen
Fest an des treuen Führers Rücken trat.

     Sordell begann aufs neu: "Geht mit Vertrauen
Jetzt zu den Großen hin und sprecht sie an,
Denn lieb wird’s ihnen sein, euch hier zu schauen.

     Ich war im Grund, wie ich drei Schritt’ getan,
Und nach mir forschend späh’n sah ich den einen,
Als sah’ er ein bekanntes Antlitz nah’n.

     Schon schwärzte sich die Luft, doch zwischen seinen
Und meinen Blicken ließ sie, nah, was sich
Vorher durch sie verschlossen, klar erscheinen.

     Nun ging ich auf ihn zu und er auf mich.
"Mein edler Richter Nin, o welch Vergnügen!
Hier--nicht bei den Verdammten--find’ ich dich!"

     Kein schöner Gruß ward zwischen uns verschwiegen.
Und er: "Wann bist du aus dem weiten Meer
Am Fuße dieses Berges ausgestiegen?"

     "Heut morgen kam ich aus der Hölle her",
Entgegnet’ ich, "und bin im ersten Leben,
Doch suche hier des künftigen Gewähr."

     Und wie ich ihnen den Bescheid gegeben,
Da fuhr Sordell und er zurück, verstört,
Als halt’ ein Wunder plötzlich sich begeben,

     Der dem Virgil, der einem zugekehrt,
Der dorten saß, am grünen Talgestade:
"Auf, Konrad, sieh, was uns der Herr beschert."

     Und drauf zu mir: "Erwies besondre Gnade
Dir der, des erster Grund verborgen ruht,
Wohin kein Geist je findet Furt und Pfade,

     So sag’ einst jenseits dieser weiten Flut
Meiner Johanna, daß sie für mich flehe,
Zu ihm, der nach dem Fleh’n der Unschuld tut.

     Nicht liebt die Mutter wohl mich noch wie ehe,
Da sie den Witwenschleier abgelegt,
Nach dem sie bald sich sehnt in ihrem Wehe.

     An ihr sieh, wie ein Weib zu lieben pflegt,
Wenn ihre Liebesglut nicht um die Wette
Jetzt Anschau’n, jetzt Betastung, neu erregt.

     Gewiß wird einstens ihre Grabesstätte
Von Mailands Schlange nicht so schön geschmückt,
Als sie geschmückt der Hahn Galluras hätte."

     Er sprach’s, und ihm im Antlitz ausgedrückt
War ein gerechter Eifer, der dem Weisen
Wohl durch das Herz, doch nur gemäßigt, zückt.

     Ich blickte sehnlich nach des Himmels Kreisen
Dorthin, wo träger ist der Sterne Lauf,
So wie, der Achse nah, des Rades Kreisen.

     Mein Führer sprach: "Was blickst du dort hinauf?"
Und ich: "Nach den drei Lichtern, denn mit ihnen
Geht ja am ganzen Pol ein Feuer auf."

     Und er: "Die vier, die dir heut morgen schienen,
Sind tief jetzt unterm Horizont versteckt,
Und diese sind an ihrer Stell’ erschienen."

     Hier ward ich durch den Ruf Sordells erschreckt:
"Den Widersacher seht!" Er sprach’s und zeigte
Zur Gegend hin, den Finger ausgestreckt,

     Wo sich das kleine Tal geöffnet neigte;
Dort war die Schlange, die wohl jener glich,
Die Even einst die bittre Speise reichte.

     Wie sie daher durch Gras und Blumen strich,
Hob sie von Zeit zu Zeit den Kopf zum Rücken
Verdreht empor und leckt’ und putzte sich.

     Nicht sah ich und vermag’s nicht auszudrücken,
Wie die zwei Engel sich bewegt zum Flug,
Doch deutlich sah ich sie herniederzücken.

     Und wie ihr Flügelpaar die Lüfte schlug,
Entfloh die Schlang’, und jene beiden flogen
Zu ihrem Platz zurück in gleichem Zug.

     Der Schatten, der von Ninos Ruf bewogen
Sich uns genähert, hatte bei dem Strauß
Die Blicke nimmer von mir abgezogen.

     "Die Leuchte, die dich führt zu Gottes Haus,
Sie find’ in deinem Willen und Verstande
Ihr Öl und gehe bis zum Ziel nicht aus."

     So sprach er, "doch wenn von der Magra Strande
Du wahre Kunde hast, so gib sie mir,
Denn wiss’, ich war einst groß in seinem Lande.

     Corrado Malaspina spricht mit dir,
Der Alte bin ich nicht, doch ihm entsprungen;
Die Meinen liebt’ ich stets, doch reiner hier."

     "Oh," sprach ich, "nimmer noch ist mir’s gelungen,
Dies Land zu sehn, allein sein Nam’ und Wert
Ist, wo man in Europa sei, erklungen.

     Der Ruf, der euer Haus erhebt und ehrt,
Schallt zu der Herrn, schallt zu des Landes Preise,
So daß, wer dort nicht war, davon erfährt.

     Ich schwör’ es dir beim Ziele meiner Reise,
Daß dein Geschlecht in voller Blüte steht,
Des Muts, der Gastlichkeit, der edlen Weise.

     Und wenn die Tollheit alle Welt verdreht,
Sitt’ und Natur wird ihm den Vorzug schenken,
Daß es allein den schlechten Weg verschmäht."

     Und er: "Jetzt geh, nicht siebenmal versenken
Wird sich die Sonn’ im Bett an jenem Ort,
Den ringsumher des Widders Füß’ umschränken,

     So wird dir diese gute Meinung dort
In deinem Kopfe festgenagelt werden,
Mit bessern Nägeln als mit andrer Wort,

     Wird nicht des Schicksals Lauf gehemmt auf Erden."



NEUNTER GESANG
 

    Schon Thithons Buhlerin, entgleitend
Dem Arm des süßen Freunds und einen Kranz
Von weißem Licht im Orient verbreitend,

     Geschmückt die Stirn mit der Demanten Glanz,
Die jenes kalten Tiers Gestaltung zeigen,
Das tödlich sticht mit seinem gift’gen Schwanz.

     Zwei Schritte hatte, wo ich war, im Steigen
Die Nacht getan, um sich beim dritten jetzt
Mit ihren Fittichen herabzuneigen,

     Als meine Sinne, da ich herversetzt
Mit Adams Erbschaft war, dem Schlaf erlagen
Und ich ins Gras sank, wo wir uns gesetzt.

     Zur Stunde war es, wo mit bangen Klagen,
Wenn sich der Morgen naht, die Schwalbe girrt,
Vielleicht gedenkend ihrer ersten Plagen,

     Und wo der Geist, vom Leibe nicht verwirrt,
Frei und entledigt von den Sorgen allen,
Im Traumgesicht beinahe göttlich wird.

     Da sah ich, träumend, an des Himmels Hallen
Mit goldenem Gefieder einen Aar,
Gespreizt die Flügel, um herabzufallen.

     Mir schien’s der Ort, wo Ganymedes war,
Als er, indem die Seinen ihn umfingen,
Entrückt ward zu der ew’gen Götter Schar.

     "Er pflegt vielleicht sich hier herabzuschwingen",
So dacht’ ich, "und verschmäht, von anderm Ort
In seinen Klauen uns emporzubringen."

     Ein wenig kreist’ er erst im Bogen dort,
Dann schoß er, schrecklich, wie ein Blitz, hernieder
Und riß mich bis zum Feuer aufwärts fort.

     Mir schien, ich brenn’, auch brenne sein Gefieder,
Und ganz erglüht von dem erträumten Brand,
Erwacht’ ich jäh aus meinem Schlummer wieder.

     So fuhr Achill empor im fremden Land
Und drehte dann die wachen Blick’ im Kreise,
Weil er nicht wußte, wo er sich befand,

     Als Thetis ihn im Schlaf dem Chiron leise
Entführt und ihn nach Skyros hingebracht,
Von wo Ulyß ihn rief zur großen Reise;

     Wie ich emporfuhr, da ich aufgewacht;
Doch fühlt’ ich Frost sich über mich verbreiten,
Gleich einem, den der Schreck erstarren macht.

     Mein treuer Hort allein war mir zur Seiten--
Zwei Stunden aufwärts stieg die Sonne schon
Und vor mir lagen frei des Meeres Weiten.

     Da sprach mein Herr: "Nicht fürchte dich, mein Sohn.
Mut, denn uns ist das Schwerste nun gelungen,
Drum halte fest die Kraft, die fast entfloh’n.

     Zum Fegefeuer bist du nun gedrungen.
Den Felsen sieh, der’s einschließt--sieh das Tor
Dort, wo, wie’s scheint, der Stein entzweigesprungen,

     Noch glänzt’ Aurora nicht dem Tage vor,
Du aber lagst, den Geist vom Schlaf befangen,
Im Tale dort auf jenem Blumenflor,

     Da kam ein Himmelsweib dahergegangen.
’Lucien seh--den Schläfer nehm’ ich fort,
Und leichter soll er so zum Ziel gelangen.’

     Sordell blieb mit den andern Seelen dort;
Sie faßte dich, und als der Tag begonnen,
Stieg sie empor mit dir an diesen Ort.

     Ich folgt’ ihr; und als mir ihr Blick voll Wonnen
Das Tor gewiesen, legte sie dich hin
Und ging, und mit ihr war dein Schlaf entronnen."

     Gleichwie wir, wenn uns offenen Gewinn
Die Wahrheit zeigte. Sorg’ und Furcht verjagen,
Von Mut und Lust erfüllt den freien Sinn,

     So ich--und da mich frei von Angst und Zagen
Mein Meister sah, so schritt er zu den Höh’n,
Und ich auch stand nicht an, den Gang zu wagen.

     Sieh, Leser, hier sich meinen Stoff erhöh’n,
Drum staune nicht, wenn größre Kunst die Worte,
Dem Stoff gemäß, sich aussucht, hoch und schön.

     Wir gingen fort und nahten einem Orte,
Der erst als Felsenspalt’ erschien; doch nah
Erkannt’ ich in der Öffnung eine Pforte.

     Drei Stufen von verschiednen Farben sah
Ich unter ihr, um zu ihr aufzusteigen;
Dann auch erkannt’ ich einen Pförtner da,

     Der auf der höchsten saß in tiefem Schweigen,
Doch wie ich auf sein Antlitz hingewandt
Mein Auge hatte, mußt’ ich’s wieder neigen.

     Er hatt’ ein nacktes Schwert in seiner Hand,
Und wollt’ ich auf dies Schwert die Blicke kehren,
So blitzt’ es her der Sonne Glanz und Brand.

     "Von dorten sprecht: Was mögt ihr hier begehren?"
Sprach er. "Wer bracht’ euch bis zu mir empor?
Habt acht, sonst wird das Kommen euch beschweren."

     Mein Meister drauf: "Uns sagte kurz zuvor
Ein Weib, vom Himmel selbst dazu berufen:
’Kehrt dorthin euren Schritt, dort ist das Tor!’

     Da hört’ ich gleich den edlen Pförtner rufen:
"So mögt ihr denn durch sie zum Heile ziehen;
Kommt, schreitet weiter vor zu unsern Stufen!"

     Wir kamen hin--die erste Stufe schien
Von Marmor, weiß, von höchster Glätt’ und Reine,
Drin spiegelt’ ich mich ab, wie ich erschien.

     Die zweite schien mir von verbranntem Steine,
Rauh, lang und quer geborsten und zerschlitzt,
Und ihre Farbe schwärzlichdunkle Bräune.

     Die dritte höchste Stuf erschien mir itzt
Wie Porphyr, flammend, gleich des Blutes Quelle,
Die frisch und warm aus einer Ader spritzt.

     Dem Pförtner diente sie zur Ruhestelle
Für seine Fuß’, und höher saß er dann
Auf der durchsicht’gen diamantnen Schwelle.

     Gern folgt’ ich meinem Führer dorthinan,
Der sprach: "Jetzt geh, ihn flehend zu begrüßen,
Denn er ist’s, der das Schloß dir öffnen kann."

     Demütig sank ich zu des Engels Füßen,
Schlug dreimal erst auf meinen Busen mich
Und bat ihn, aus Erbarmen aufzuschließen.

     Mit seines Schwertes scharfer Spitze strich
Er sieben P auf meine Stirn und machte
Sie wund und sprach: "Dort drinnen wasche dich."

     Noch, wenn ich Asch’ und Erdenstaub betrachte,
Seh’ ich des Kleides Farb’, aus welchem er
Mit seiner Hand hervor zwei Schlüssel brachte.

     Von Gold war dieser und von Silber der.
Den weißen sah ich ihn, den gelben drehen,
Und sieh, verschlossen war das Tor nicht mehr.

     Er sprach darauf: "Trifft einer von den zween
Im Schloß beim Umdreh’n irgend Widerstand,
So bleibt die Türe fest verschlossen stehen.

     Mehr Wert hat der von Gold, doch mehr Verstand
Und Kunst wird jener, eh’ er schließt, bedürfen,
Denn er nur löst das vielverschlungne Band.

     Beim Öffnen sollt’ ich eher irren dürfen,
Sprach Petrus, der sie gab, als beim Verschluß,
Wenn nur, die kämen, erst sich niederwürfen."

     Er stieß ans heil’ge Tor und sprach zum Schluß:
"So geht denn ein, doch daß euch’s nie entfalle,
Daß, wer rückblickt, nach außen kehren muß."

     Beim Öffnen drehte mit so lautem Schalle
Die heil’ge Pfort’ in ihren Angeln sich,
Gemacht von starkem, klingendem Metalle,

     Daß es dem Knarren jenes Tores glich,
Vom Schloß Tarpeja, dessen Riegel sprangen,
Als der Gewalt Metell, sein Wächter, wich.

     Ich horcht’ aufmerksam hin, denn Stimmen sangen,
Und ein Tedeum schien mir, was man sang,
Zu welchem volle süße Tön’ erklangen.

     Denn das, was jetzt zu meinen Ohren drang,
War, wie wenn zu Gesängen Orgeln gehen,
Und wir vor ihrem vollen hellen Klang

     Die Worte halb verstehn, bald nicht verstehen.



ZEHNTER GESANG
 

    Kaum war ich innerhalb der Tür der Gnade,
Die selten aufgeht durch den schlechten Hang,
Der g’rad’ erscheinen läßt die krummen Pfade,

     Da hört’ ich, wie sie beim Verschließen klang.
Wie ward’s auch wohl entschuldigt, wie verziehen,
Wenn nach ihr umzuschau’n mich Neugier zwang?

     Wir mußten durch gespaltnen Felsen ziehen,
Der vor- und rückwärts sprang vor unsrer Bahn,
Wie Wogen sich anwälzen erst, dann fliehen.

     "Jetzt gilt es", also fing mein Führer an,
"Wohl etwas Kunst, um hier und dort den Seiten,
Da, wo sie rückwärts weichen, uns zu nah’n."

     Wir durften drum nur Iangsam vorwärts schreiten,
Und schon war Lunas Rand dem Meer genaht,
Schon sah ich sie hinab ins Bette gleiten,

     Eh’ wir zurückgelegt den engen Pfad;
Doch blieben wir an seinem offnen Rande,
Da, wo der Berg etwas zurücke trat,

     Ich matt, und fremd wir beid’ in diesem Lande,
In Zweifeln stehn auf einem ebnen Ort,
Der öd war wie ein Berg in Lybiens Sande.

     Von wo sein Rand ans Leere grenzt, bis dort
Zum Fuß der Felsen, die sich jenseits heben,
Ging ebner Raum drei Menschenlängen fort.

     Soweit g’rad’aus der Blicke Flügel schweben,
schien solch ein Raum zur recht’ und linken Hand
Den Berg, gleich einem Kranze, zu umgeben.

     Wie ich dort still mit meinem Führer stand,
Erkannt’ ich, daß der Felsrand, uns entgegen,
Der steil sich hob, gleich einer schroffen Wand,

     Von weißem Marmor war und allerwegen
Voll Bildnerei, um Polyklet zur Scham,
Ja die Natur zum Neide zu erregen.

     Der mit dem Friedensfchluß, den längst in Gram
Die Welt ersehnt, aufs irdische Gefilde,
Den lang verschloßnen Himmel öffnend, kam,

     Der Engel war dort eingehau’n, und Milde
Und Liebe tat so wahr sein Wesen kund,
Daß niemand glaubt’, es sei ein stumm Gebilde.

     Man schwor, ein Ave schweb’ auf seinem Mund,
Denn sie war dort, durch die des Himmels Riegel
Der Höchste löst’ im neuen Liebesbund.

     Es zeigte der Gebärde reiner Spiegel
Das Wort: Sieh Gottes Magd, so ausgeprägt,
Wie sich im Wachs ausprägt das schöne Siegel.

     "Was schaust du", sprach Virgil, "so unbewegt,
Als ob nur diesem Bild dein Blick gebührte?"--
Ich ging zur Seit’ ihm, wo das Herz uns schlägt,

     Daher sich jetzt dorthin mein Auge rührte;
Und hinter der Maria war der Stein,
Zur andern Seite dessen, der mich führte,

     Geschmückt mit andern schönen Schilderei’n.
Drum trat ich, vor Virgil vorbeigeschritten,
Ihm näher, um zum Schau’n bequem zu sein.

     Der Wagen war, in Marmor eingeshnitten,
Die stierbespannte Bundeslade da,
Drob ungeheischtes Dienen Straf erlitten.

     Das Volk voraus, in sieben Chören, sah
Ich jubelnd zieh’n und sagt’ ich: Ob sie singen?
So sagt’ ein Sinn mir nein, der andre ja!

     Sah Weihrauchduft sich in die Lüfte schwingen,
Und auch bei diesem Bilde ließen schwer
Geruch sich und Gesicht zum Einklang bringen.

     Im Tanze vor der heil’gen Lade her,
Sah ich erhöht in Demut den Psalmisten,
Der minder hier, als König, war, und mehr,

     Und, wie erfüllt von Ränken und von Listen,
Am Fenster des Palasts mit schnödem Wort
spöttisch bewundernd sich die Michal brüsten.

     Darauf bewegt’ ich mich von meinem Ort,
Um weiterhin ein andres Bild zu schauen,
Und sah den edlen Römerherrscher dort

     Zu hohem Ruhm in Marmor eingehauen,
Ihn, der zum großen Siege den Gregor
Beseelt mit Kraft und gläubigem Vertrauen.

     Trajan, den Imperator, stellt’ es vor,
Und eine Witw’, ihm in die Zügel fallend,
Die, schmerzerfüllt, mit Flehen ihn beschwor.

     Rings Reiterei gedrängt. Trompeten schallend,
--so schien’s dem Aug’--im goldenen Panier
Die Adler drüberhin im Winde wallend.

     Die Arme schrie mit Macht, so schien es mir:
"Verweile, Herr, mir ward der Sohn erschlagen,
Du räche mich, die Rache ziemet dir."--

     So warte, bis ich kehre!" Dies zu sagen
schien er, und sie darauf: "Und wenn du nun"
(Und ihre Worte schien der Schmerz zu jagen)

     "Nicht wiederkehrst?"--So wird’s mein Folger tun!"
"Vertraust du, was dir obliegt, fremden Armen,
Mag auch indes die Pflicht vergessen ruh’n?"--

     "So tröste dich," entgegnet’ er der Armen,
"Bevor ich ziehe, lös’ ich meine Pflicht,
Gerechtigkeit gebeut’s, mich hält Erbarmen!"--

     Sichtbar macht’ er die Red’, er, des Gesicht
Von Ewigkeit nichts Neues noch gesehen,
Doch uns ist’s neu, weil uns die Kunst gebricht.

     Indes ich mich ergötzte, hinzuspähen
Nach solcher Demut Bildern, deren Wert
Noch er erhöht, durch welchen sie entstehen,

     Da lispelte Virgil, mir zugekehrt:
Sieh jene dort, die langsam, langsam schreiten,
Von diesen wird uns wohl der Weg gelehrt."

     Ich ließ, da immer hier nach Neuigkeiten
Mein ganzes Streben war, voll Ungeduld
Nach dieser Seite hin die Blicke gleiten,

     Vernimmst du, Leser, wie sich Gott die Schuld
Bezahlen läßt, nicht denke drum zu weichen
Vom guten Pfad und trau’ auf seine Huld.

     Mag diese Qual auch der der Hölle gleichen,
Denk’ an die Folg’--im schlimmsten Falle wird
Nur bis zum großen Spruch die Marter reichen.

     Ich sprach: "Nur unklar seh’ ich und verwirrt,
Was dort sich naht. Sind’s menschliche Gestalten,
Was unstet itzt vor meinem Auge flirrt?"--

     "Kaum seh’ ich selbst ihr Bild sich klar entfalten,"
Entgegnet’ er, "weil erdwärts tiefgebückt
Vor schwerer Last sie Haupt und Schultern halten.

     Sieh, was dort unter Steinen näher rückt,
Sieh scharf, und du entwirrst gequälte Schatten
Und siehst genau, was jeden niederdrückt."--

     Stolze Christen, o ihr Armen, Matten!
Der Fuß schlüpft rückwärts, doch, an Geiste blind,
Glaubt ihr, vortrefflich geh eu’r Lauf vonstatten.

     Bemerkt ihr nicht, daß wir nur Würmer sind,
Bestimmt zu jenes Schmetterlings Entfaltung,
Des Flug nie der Gerechtigkeit entrinnt.

     Was tragt ihr hoch das Haupt in stolzer Haltung?
Gewürm, das öfters, wenn’s der Pupp’ entflieht,
Verkrüppelt ist zu schnöder Mißgestaltung;

     Wie man zuweilen wohl Gestalten sieht,
Anstatt des Simses tragend Dach und Decken,
Gekrümmt, daß sich das Knie zum Busen zieht,

     Die im Beschauer wahres Leid erwecken
Durch falschen Schmerz--so könnt’ ich jetzo klar
Bei schärferm Hinschau’n jene dort entdecken,

     Den mehr, den minder tiefgebogen zwar,
Als ob die Last hier mehr, dort minder wiege,
Doch der auch, der am meisten duldsam war,

     Schien tränenvoll zu sagen: Ich erliege!



ELFTER GESANG
 

    "Oh Vater unser, in den Himmeln wohnend,
Du, nimmer zwar von ihrer Schrank’ umkreist,
Doch lieber bei den ersten Werken thronend,

     Es preis deinen Namen, deinen Geist,
Was lebt, weil deinem süßen Hauch hienieden
Der Mensch nur würdig dankt, wenn er ihn preist.

     Zu uns, Herr, komme deines Reiches Frieden,
Den keiner je durch eigne Kraft errang,
Und der zu uns nur kommt, von dir beschieden.

     Gleichwie die Engel beim Hosiannasang
Ihr Wollen auf das Deine nur beschränken,
So opfre dir der Mensch des Herzens Hang.

     Wollt unser täglich Manna heut uns schenken;
Zurückgeh’n ohne dies auf rauher Bahn
Die, so am meisten vorzuschreiten denken.

     Wie wir, was andre Böses uns getan,
Verzeih’n, oh so verzeih uns du in Hulden
Und sieh nicht das, was wir verdienen, an.

     Nicht laß die schwanke Kraft Versuchung dulden
Vom alten Feinde, sondern mache los
Von ihm, des Arglist reizt zu Sünd’ und Schulden.

     Für uns nicht, teurer Herr, für jene bloß
Geschieht, tut not die letzte dieser Bitten,
Die dort noch sind in unentschiednem Los."

     So für sich selbst, für uns auch betend, schritten
Die Schatten langsam unter schwerer Last,
Wie man im Traum oft ihren Druck erlitten,

     Im ersten Kreise, der den Berg umfaßt;
Sie läutern sich vom Erdenqualm und tragen
Ungleiche Bürden, matt, doch ohne Rast.

     Wenn stets für uns dort jene Gutes sagen,
Was kann für sie von solchen hier gescheh’n,
Die Wurzeln schon im bessern Sein geschlagen?

     Sie unterstütze treulich unser Fleh’n,
Daß sie der Erdenschuld sich bald entringen
Und leicht und rein die Sternenkreise sehn.

     "Euch möge Recht und Huld Erleicht’rung bringen,
Um zu dem Ziel, daß euch die Sehnsucht zeigt,
Mit freien Flügeln bald euch aufzuschwingen.

     Ihr aber zeigt uns, wo man aufwärts steigt,
Weist uns den Weg, und gibt es mehr als einen,
So lehrt uns den, der minder steil sich neigt.

     Denn dieser hier, mit Fleisch und mit Gebeinen
Von Adam her bekleidet und beschwert,
Muß wider Willen träg im Steigen scheinen."

     So sprach mein Führer, jenen zugekehrt,
Und diese Rede ward darauf vernommen,
Doch wußt’ ich nicht, von wem ich sie gehört.

     "Ihr könnt mit uns zur rechten Seite kommen,
Dort ist ein Paß, nicht steiler, als der Fuß
Des Lebenden schon anderwärts erklommen.

     Und drückte nicht der Stein nach Gottes Schluß
Den stolzen Nacken jetzt der Erd’ entgegen,
So daß ich stets zu Boden blicken muß,

     So würd’ ich nach ihm hin den Blick bewegen,
Zu sehn, ob ich ihn, der sich nicht genannt,
Erkenn’, und um sein Mitleid zu erregen.

     Wilhelm Aldobrandeschi, der dem Land,
Das ihn geboren, Ruhm und Ehre brachte,
Erzeugte mich, und ist euch wohl bekannt.

     Das alte Blut, der Ruhm der Ahnen machte
So übermütig mich und stolz und roh,
Daß ich nicht mehr der Mutter aller dachte.

     Und ich verachtete die Menschen so,
Daß ich drum starb, wie die Sanesen wissen
Und jedes Kind in Campagnatico.

     Omberto bin ich; nicht nur mein Gewissen
Befleckt der Stolz, er hat auch alle schier
Von meinem Stamm ins Elend fortgerissen.

     Bis ich dem Herrn genugtat, ruht auf mir
Die schwere Last, und was ich dort im Leben
Nicht tat, daß tu’ ich bei den Toten hier."

     Ich horcht’ und ging gesenkten Blicks daneben,
Ein andrer aber, unterm Steine, fing
sich an zu winden, um den Blick zu heben.

     Er sah, erkannt’ und nannte mich und hing,
Kaum fähig, doch den Blick vom Grund zu trennen,
An mir, der ganz gebückt mit ihnen ging,

     "Du Odrisl" rief ich, froh, ihn zu erkennen,
Scheinst Gubbios Ruhm, der Ruhm der Kunst zu sein,
Die Miniaturkunst die Pariser nennen."

     "Ach, Bruder, heitrer sind die Schilderei’n,"
Versetzte jener, "Franks, des Bolognesen,
Sein ist der Ruhm nun ganz, zum Teil nur mein.

     So edel war’ ich, lebend, nicht gewesen,
Dies zu gestehn, denn ach! vor Ruhmgier schwoll
Damals mein stolzes Herz, mein ganzes Wesen.

     Fürs solchen Stolz bezahlt man hier den Zoll.
Wo ich, weil ich bereute, durch Beschwerden
Von seinem finstern Dampf mich läutern soll.

     O eitler Ruhm des Könnens auf der Erden!
Wie wenig dauert deines Gipfels Grün,
Wenn roher nicht darauf die Zeiten werden.

     Als Maler sah man Cimabue blüh’n,
Jetzt sieht man über ihn den Giotto ragen,
Und jenes Glanz in trüber Nacht erglüh’n.

     Den Ruhm der Sprache nahm in diesen Tagen
Ein Guid’ dem andern, und ein andrer lauscht
Vielleicht versteckt, auch ihn vom Nest zu jagen.

     Ein Windstoß nur ist Erdenruhm. Er rauscht
Von hier, von dort, um schleunig zu verhallen,
Indem er Seit’ und Namen nur vertauscht.

     Wird lauter wohl dereinst dein Ruhm erschallen,
Wenn du als Greis vom Leib geschieden bist,
Als wenn du stirbst beim ersten Kinderlallen,

     Eh’ tausend Jahr’ entflieh’n?--wohl kürzre Frist
Zur Ewigkeit, als zu dem trägsten Kreise
Des Himmels deines Auges Blinken ist.

     Ganz Tuscien scholl einst laut von dessen Preise,
Der dort vor mir so träg und langsam schleicht,
Jetzt flüstert’s kaum von ihm in Siena leise.

     Dort herrscht’ er, als, von dem Geschick erreicht,
Fiorenzas Wut erlag, der stolzen, kühnen,
Der Stadt, die jetzt der feilen Hure gleicht.

     Dem Grase gleicht der Menschenruhm, dem Grünen,
Das kommt und geht, und durch die Glut verdorrt,
Die erst es mild hervorrief, zu ergrünen."

     Und ich: "Mir dämpft den Stolz dein wahres Wort
Und weiß mir trefflich Demut einzuprägen;
Doch sprich: Wer geht so schwer belastet dort?"

     Silvani," sprach er, "ist es, hier deswegen,
Weil sich so weit sein toller Stolz vergaß,
Dem freien Siena Ketten anzulegen.

     Drum ging er so und geht ohn’ Unterlaß,
Seitdem er starb--der Zoll wird hier erhoben
Von jedem, der sich dort zu hoch vermaß."

     Und ich: "Weilt jeder, welcher aufgeschoben
Bis zu dem Rand des Lebens Reu’ und Leid.
Dort unten erst und dringet nicht nach oben,

     Wenn ihm nicht Hilfe gläubig Fleh’n verleiht,
Bis so viel Jahr’, als er gelebt, vergangen,
Wie kam denn er herauf in kürzrer Zeit?"--

     Und er: "Er ist auf Sienas Markt gegangen
Zur Zeit, da er den höchsten Ruhm erstrebt,
Hat dort gestanden, nicht von Scham befangen,

     Und, weil sein Freund in Carlos Haft gelebt,
Um Hilf ihm und Befreiung zu gewähren,
Als Bettler dort an jedem Puls gebebt.

     Ich red’ unklar, doch wird’s nicht lange währen,
So handelt also deine Nachbarschaft,
Daß du vermagst, dir alles zu erklären--

     Die Tat hat jene Schrank’ ihm weggeschafft."



ZWÖLFTER GESANG
 

    Gleichmäßig, wie zwei Stier’ im Joche zieh’n,
Ging ich dem schwerbeladnen Geist zur Seiten,
Solang es gut dem süßen Lehrer schien.

     Doch als er sprach: "Laß ihn, um vorzuschreiten,
Hier gilt’s. soviel man immer kann, den Kahn
Mit Segeln und mit Rudern fortzuleiten!"

     Da richtet’ ich mich auf zur weitern Bahn
Mit meinem Leib, obwohl gebeugt und bange
Des Geistes Blicke noch zu Boden sahn,

     Und folgte meinem Hort im regen Drange
Der Wißbegier, und beide zeigten wir,
Wie leicht wir waren, schon im raschen Gange;

     Bis daß er sprach: "Zu Boden blicke hier,
Um, was dein Fuß beschreitet, zu gewahren,
Denn zu des Weges Kürzung frommt es dir."

     Wie, um der Freund’ Erinnrung zu bewahren,
Auf ird’schen Gräbern dargestellt erscheint,
Was, die drin ruhen, einst im Leben waren,

     So daß bei diesem Anblick jeder weint,
Gereizt vom Schmerz der aufgerißnen Wunde,
Der’s gut und fromm mit ihnen einst gemeint;

     So wies der Vorsprung mir, der in der Runde,
Den Pfad dort bildend, jenen Berg umschloß,
Manch Bild, doch trefflicher, auf seinem Grunde

     Ihn, edler, als was je der Erd’ entsproß,
Erschaffen, sah ich, welcher mit der Eile
Des Blitzes hier vom Himmel niederschoß.

     Dort aber auf des Weges anderm Teile,
In starrem Todesfrost und träg und schwer,
Lag Briareus, durchbohrt vom Himmelspfeile.

     Mars, Phöbus, Pallas standen hoch und hehr,
Auf die zerstreuten Riesenglieder sehend,
Bewaffnet noch, um ihren Vater her.

     Am Fuß des großen Werks den Nimrod stehend,
Erblickt’ ich dann, und wie verwirrt und toll
Nach den Genossen seiner Arbeit spähend.

     Dich Niobe, dich sah ich jammervoll,
Hier sieben Kinder tot, dort andre sieben;
Wie jedem Aug’ ein Tränenstrom entquoll.

     Saul, du schienst, ins eigne Schwert getrieben,
Tot, wie auf Gilboa, das seit der Zeit
Von Tau und Regen unbenetzt geblieben.

     Arachne, Törin, einst voll Eitelkeit,
Halb Spinn’ itzt, auf den Fetzen vom Gewebe,
Das du, o Arme, wobst zu deinem Leid.

     Rehabeam--es schien, als ob er bebe,
Als ob er, statt wie immer sonst, zu droh’n,
Im Wagen flüchtig, unverjagt, entschwebe.

     Man sah Eriphylen und ihren Lohn,
Wie teuer das unselige Geschmeide
Ihr hier bezahlt ward von dem eignen Sohn:

     Den Sanherib, den seine Söhne beide
Im Tempel töteten voll Frevelmut
Und liegen ließen in dem letzten Leide.

     Des Cyrus Tod und der Tomyris Wut--
Sie schien zum abgeschnittnen Haupt zu sagen:
Dein Durst war Blut, nun füll’ ich dich mit Blut.

     Dann der Assyrer Heer--es floh, geschlagen,
Nach Holofernes’ Tod, und hinterdrein
Sah man mit grimmer Wut die Feinde jagen.

     O Ilion, wie niedrig und wie klein!
Wohl standest du auf Trojas Fluren dreister
Als hier, in Asch’ und Schutt, auf dem Gestein!

     Wer war des Griffels und des Pinsels Meister,
Der Formen und Gebärden ausgedrückt
Selbst zur Bewunderung der feinsten Geister?

     Mir schien, wie ich dahinging, tiefgebückt,
Was tot war, tot, was lebend war, zu leben,
Nicht besser hat’s, wer’s wirklich sah, erblickt.

     Stolziert nur hin, fahrt fort, das Haupt zu heben,
Senkt nicht den Blick, ihr, Evens Söhn’, er weist
Euch sonst den schlechten Weg, das eitle Streben!--

     Schon hatten wir vom Berge mehr umkreist,
Schon war die Sonne weiter fortgegangen,
Als ich bemerkt mit dem befangnen Geist;

     Als er, des Fuß und Seele vorwärts drangen,
Begann: "Blick’ auf, erhebe Haupt und Sinn!
Nicht ist’s mehr Zeit, den Bildern anzuhangen.

     Ein Engel naht--drum blick’ empor, dorthin!
Schon kehrt, von schnellen Fittichen getragen,
Zurück des Tages sechste Dienerin.

     Schmück’ itzt mit Ehrfurcht Antlitz und Betragen,
Dann führt er wohl mit Freuden uns empor.
Denk’, nie wird dieser Tag dir wieder tagen."

     Und da er mich ermahnt schon oft zuvor,
Die Zeit zu nutzen, kam es, daß ich nimmer
Den Sinn, den solch ein Wort verschloß, verlor.

     Das schöne Wesen naht’--ein weißer Schimmer
War sein Gewand; dem Stern des Morgens war
Sein Antlitz gleich an zitterndem Geflimmer.

     Die Arm’ erschloß er, dann das Flügelpaar,
Und sprach: "Kommt jetzt, denn nahe sind die Stufen
Und leicht erklimmt ihr sie und ohne Fahr.

     Nur wen’ge nah’n von vielen, die berufen.
O Mensch, du fällst bei jedes Windes Weh’n,
Du, den zum Aufflug Gottes Händ’ erschufen."

     Bald ließ er uns des Felsen Öffnung sehn.
Dort schlug er meine Stirn mit seinem Flügel
Und hieß mich dann gesichert weitergehn.

     Wie ob der Stadt, die ihrer Herrschaft Zügel
So wohl zu führen weiß wie Recht und Pflicht,
Am Weg zur Kirche, rechts am steilen Hügel,

     Den kühnen Schwung des Bergs die Treppe bricht,
Die man gebaut in jenen guten Zeiten,
Wo sicher war das Maß und das Gewicht;

     So war der Fels, durch Stufen zu beschreiten,
Obwohl er jäh sich senkt als steile Wand,
Doch streift man das Gestein von beiden Seiten.

     Laut klang’s, indem ich dort mich aufwärts wand,
"Den geistlich Armen Heil!"--mit einem Sange,
Wie ich so süß noch keinen je empfand.

     Wie anders war es hier, als bei dem Gange
Ins Höllenreich! Bei Liedern klomm ich auf,
Und dort hinab bei wildem Jammerklange.

     Die heil’gen Stiegen klommen wir hinauf,
Und leichter schien mir’s hier, emporzukommen,
Als erst auf ebner Bahn der leichtste Lauf.

     Sprich, Meister, welche Last ist mir entnommen,"
So rief ich, da ich dies bemerkt, zuletzt,
"Daß ich fast mühelos emporgeklommen?"

     Und er: sind diese P, die zwar noch jetzt
Dein Antlitz trägt, doch die schon halb verschwunden,
Erst, wie das eine, völlig ausgewetzt,

     Dann wird den Fuß dein Streben überwinden,
So daß ihm Klimmen keine Mühe macht,
Ja, Wonne wird er dann im Steigen finden."

     Da tat ich jenen gleich, die, sonder Acht,
Etwas mit sich am Haupte tragend, gehen,
Bis sie bemerkt, daß man sich winkt und lacht;

     Drum sie die Hand gebrauchen, um zu spähen,
Mit dieser suchen, finden und damit
Zuletzt erschau’n, was nicht die Augen sehen.

     Denn mit den ausgespreizten Fingern glitt
Ich an der Stirne hin, und sieh, vergangen
War eins der Zeichen, das der Engel schnitt.

     Da schwebt’ ein Lächeln um des Meisters Wangen.



DREIZEHNTER GESANG
 

    Wir waren auf dem Gipfel jener Stiegen,
Wo sich des Berges zweiter Abschnitt zeigt,
Des Bergs, der läutert, die hinaufgestiegen.

     Hier, wo man auf den zweiten Vorsprung steigt,
Der, gleich dem ersten, rings die Höh’ umwindet,
Nur daß ein Bogen noch sich schneller beugt,

     Hier ist kein Bild, und jedes Zeichen schwindet,
Daher man glatt den Weg und das Gestad
Von des Gesteins schwarzgelber Farbe findet.

     "Dafern wir harrten, bis der Führer naht,"
So sprach Virgil darauf, "hier säumig stehend,
So wählten wir zu spät wohl unsern Pfad."

     Dann macht’ er, festen Blicks zur Sonne sehend,
Für die Bewegung seinen rechten Fuß
Zum Mittelpunkt, sich mit dem linken drehend.

     "O süßes Licht, du flößest den Entschluß
Zum neuen Weg mir ein, du führ’ uns weiter,"
Begann er, "wie ein treuer Führer muß.

     Du wärmst die Welt, du machst sie hell und heiter;
Nie wandle man, wenn sich dein Glanz verhehlt,
Drängt nicht die Not, und er sei unser Leiter."

     Soviel man hier auf eine Miglie zählt,
So weit schon gingen wir auf jenen Pfaden
In wenig Zeit, vom regen Trieb beseelt.

     Ein Geisterzug flog längs den Felsgestaden,
Gehört, doch nicht gesehn, herbei und schien
Zum Tisch der Lieb’ uns freundlich einzuladen.

     Der erste Geist rief im Vorüberflieh’n:
Sie haben keinen Wein! Die Worte klangen
Dann nochmals hinter uns im Weiterzieh’n.

     Und eh’ sie, sich entfernend, ganz verklangen,
Da rief: Ich bin Orest!--ein zweiter Geist,
Und war im schnellen Flug vorbeigegangen.

     "O", sprach ich, "Vater, sage, was dies heißt?"
Da klang die dritte Stimm’ in meine Frage
Und rief: Liebt den, der Böses euch erweist.

     Und er: "Du findest hier des Neides Plage!
Gegeißelt wird er hier, doch Liebe schwingt
Der strengen Geißel Schnur zu jedem Schlage.

     Doch wisse, daß der Zügel anders klingt.
Du wirst ihn hören, eh’ im Weitergehen
Dein Fuß zum Passe der Verzeihung dringt.

     Versuch’ es jetzo, scharf dorthin zu spähen,
Und vor uns wirst du Leute, langgereiht,
An dieser Wand des Felsens sitzen sehen.

     Da öffnet’ ich sogleich die Augen weit
Und sah die Schatten an der Felsenhalle,
An Farbe dem Gesteine gleich ihr Kleid.

     Und näher hört’ ich sie mit lautem Schalle
"Bitte für uns, Maria!" brünstig schrei’n,
"Michael und Petrus und ihr Heil’gen alle!"

     Möcht’ einer noch so hart und grausam sein,
Vor Mitleid wäre doch sein Herz entglommen,
Hält’ er, wie ich, gesehn der Armen Pein.

     Denn als ich nun so nahe hingekommen,
Daß ich Gebärd’ und Angesicht erkannt,
Da ward mein Herz durchs Auge schwer beklommen.

     Ihr Anzug war ein schlechtes Bußgewand;
Sie lehnten sich an sich und ihren Rücken
Sie allesamt an jene Felsenwand;

     Den Blinden gleich, die Not und Hunger drücken,
Und die an Ablaßtagen bettelnd stehn,
Und, Kopf an Kopf gedrängt, sich kläglich bücken,

     Indem sie, um das Mitleid zu erhöh’n,
Nicht minder mit den jämmerlichen Mienen,
Als mit den lauten Jammerworten fleh’n.

     Und, gleich den armen Blinden, war auch ihnen
Den bangen Schatten, welchen ich genaht,
Der Glanz des Himmelslichts umsonst erschienen.

     Gebohrt war durch die Augenlider Draht,
Ihr Auge, wie des Sperbers, ganz vernähen;
Der, wild, nicht nach des Jägers Willen tat.

     Mir aber schien es unrecht, daß ich sehend,
Doch ungesehn dort ging, drum wandt’ ich mich
Zum weisen Rat, nach seiner Meinung spähend.

     Er, der sogleich erriet, weswegen ich
Noch stumm, auf ihn die Blicke fragend lenkte,
Sprach: "Rede jetzt, doch kurz und sinnig sprich."

     An jener Seite, wo der Fels sich senkte,
Ging mir Virgil, wo leicht zu fallen war,
Weil kein Geländer dort den Rand verschränkte;

     Zur andern Seite saß die fromme Schar,
Und durch die grause Naht gepreßte Zähren,
Die ihre Wangen netzten, nahm ich wahr.

     "Ihr, sicher, euch im Lichte zu verklären,"
Begann ich nun, "das einzig euer Traum,
Das einzig euer Wunsch ist und Begehren,

     Die Gnade lös’ euch des Gewissens Schaum
Und mache drin auf reinem lauterm Grunde
Der Seele klaren Fluß zum Strömen Raum.

     Doch bitt’ ich euch, gebt mir gefällig Kunde:
Ist eine Seel’ aus Latium hier?--Ich bin
Für sie vielleicht dann hier zur guten Stunde."

     "O Bruder, jede Seel’ ist Bürgerin
Von einer wahren Stadt--doch willst du fragen,
Ob ein’ in Welschland lebt als Pilgerin."

     So schien’s, von mir noch etwas fern, zu sagen,
Daher ich, weil ich fast das Wort verlor,
Sogleich beschloß, mich weiter vor zu wagen.

     Und eine wartete, so kam mir’s vor,
Auf Antwort, und, um’s deutlicher zu zeigen,
Hob sie, dem Blinden gleich, das Kinn empor.

     "Du," sprach ich, "die sich beugt, um aufzusteigen,
Warst du’s, die Antwort gab, so magst du mir
Jetzt deinen Ort und Namen nicht verschweigen."

     "Ich war von Siena, und mit diesen hier",
So sprach sie, "läutr’ ich mich vom Lasterleben,
Und weinend fleh’n um Gottes Gnade wir.

     Sapia hieß ich, ob ich gleich ergeben
Der Torheit war, denn mir schien andrer Leid
Weit größre Lust, als eignes Glück zu geben.

     Doch zweifelst du an meinem tollen Neid,
So höre nur!--Die Jugend war verflossen,
Und abwärts ging der Bogen meiner Zeit,

     Als nah bei Colle meine Landsgenossen
Den kampfbereiten starken Feind erreicht;
Da bat ich Gott um das, was er beschlossen.

     Drauf wird ihr Heer geschlagen und entweicht,
Und ich, erblickend, wie der Feind es jage,
Fühl’ eine Lust, der keine weiter gleicht,

     So daß ich kühn den Blick gen Himmel schlage
Und rufe: Gott, nicht fürcht’ ich mehr dich jetzt!
Der Amsel gleich am ersten warmen Tage.

     Nach Gottes Frieden sehnt’ ich mich zuletzt
Am Rand des Lebens, aber meine Schulden,
Durch Reue wären sie nicht ausgewetzt,

     Wenn Pettinagno meiner nicht in Hulden
Gedacht in seinem heiligen Gebet;
Noch müßt’ ich vor dem Tore harrend dulden.

     Doch wer bist du, der offnen Auges geht,
So scheint’s, um unsern Zustand zu erkunden,
Und dessen Atem noch beim Sprechen weht?"--

     "Mit Draht wird einst mein Auge hier durchwunden,"
So sprach ich, "doch ich hoffe kurze Frist,
Weil man’s nur selten scheel vor Neid gefunden.

     Mehr als das Leid, ob des du traurig bist,
Hat Sorge mir die untre Qual bereitet.
Schon fühl’ ich, wie die Bürde drückend ist."

     Und sie: "Wer also hat dich hergeleitet,
Daß du, um rückzukehren, hier erscheinst?"
"Er, der dort schweigend steht, hat mich begleitet.

     Ich leb’, erwählter Geist, und wenn ich einst
Jenseits als Sterblicher für dich bewegen
Die Füße soll, so fordre, was du meinst."

     "So Neues sagtest du," sprach sie dagegen,
"Daß es dir sicher Gottes Huld bewährt.
Verwende drum dein Fleh’n zu meinem Segen.

     Ich bitte dich, bei allem, was dir wert,
Wirst du dich je im Tuscierland befinden,
So sei zum Bessern dort mein Ruf gekehrt.

     Beim eiteln Volk wirst du die Meinen finden,
Das Talamon verlockt zum Hoffnungswahn;
Und wie bei Dianas Quelle wird er schwinden,

     Doch setzen mehr die Admirale dran."



VIERZEHNTER GESANG
 

    "Wer ist der, welcher unsern Berg umgeht,
Eh’ ihn der Tod beschwingt--dem, nach Behagen,
Das Auge bald sich schließt, bald offen steht?"

     "Daß er allein nicht ist, das kann ich sagen,
Nicht wer er ist. Da ich ihm ferner bin,
Magst du, damit er red’, ihn höflich fragen."

     So redeten, von mir zur Rechten hin,
Zwei Geister dort, sich zueinander neigend,
Dann, um zu sprechen, hoben sie das Kinn.

     "O Seele, die, empor zum Himmel steigend,"
Sprach dann der eine, "noch im Körper steckt,
O sprich, dich hold und trostreich uns erzeigend,

     Woher? Wer bist du? Denn solch Staunen weckt
Die Gnade, die wir an dir schauen sollen,
Wie wenn, was nie gescheh’n, sich uns entdeckt."

     Und ich: "Ein Fluß, der Falteron’ entquollen,
Lustwandelt mitten durch das Tuscierland,
Dem hundert Miglien Laufs nicht g’nügen wollen.

     Ich bringe diesen Leib von seinem Strand.
Doch sagt’ ich, wer ich sei--nicht würd’ euch’s frommen,
Da wenig Ruhm bis jetzt mein Name fand."

     "Bin ich auf deiner Meinung Grund gekommen,
Meinst du den Arno und sein Talgebiet?"
So sprach jetzt, der zuerst das Wort genommen.

     Der zweite sprach darauf: "Warum vermied
Er, jenes Flusses Namen zu verkünden,
Wie’s sonst nur mit Abscheulichem geschieht?"

     Und jener sprach: "Nicht kann ich dies ergründen,
Doch wert des Untergangs ist jenes Wort,
Das nur Erinnrung weckt an Schmach und Sünden.

     Denn von dem Ursprung im Gebirge dort,
Von dem sich einst Pelorum trennen müssen,
Dort wasserreich, wie sonst an keinem Ort,

     Bis dahin, wo der Fluß mit ew’gen Güssen
Das, was dem Meer die Sonn’ entsaugt, ersetzt,
Was Nahrung gibt den Bächen und den Flüssen,

     Wird, sei’s durch schlechte Sitt’ und Neigung jetzt,
Sei’s, daß der Ort an einem Fluche leide,
Die Tugend, gleich den Schlangen, fortgehetzt.

     Denn was im Tal, gedrückt von schwerem Leide,
Nur irgend wohnt, hat die Natur verkehrt,
Als hätt’ es mitgeschmaust auf Circes Weide.

     Zu garst’gen Schweinen, mehr der Eicheln wert
Als dessen, was Natur den Menschen spendet,
Ist erst sein wasserarmer Lauf gekehrt.

     Dann, wie er weiter seine Wogen sendet,
Trifft er ohnmächt’ge kleine Kläffer an,
Von welchen er die Stirn unwillig wendet

     Je mehr er schwillt in seiner tiefern Bahn,
Sieht der unsel’ge maledeite Graben
Die Hund’ an Art sich mehr den Wölfen nah’n.

     In tiefen Tümpeln scheint er drauf vergraben
Und trifft dann Füchs, in List so eingeweiht,
Daß sie nicht scheu mehr vor dem Schlau’sten haben.

     Frei red’ ich. Sei der Horcher auch nicht weit,
Und gut wird’s diesem sein, das zu behalten,
Was der wahrhafte Geist mir prophezeit.

     Ich sehe deinen Neffen furchtbar schalten,
Der jene Wölfe so zu jagen weiß,
Daß sie vor grauser Todesangst erkalten.

     Denn er verkauft sie lebend scharenweis,
Dann sticht er sie, gleich einem alten Schlachtvieh, nieder.
Das Leben raubt er vielen, sich den Preis.

     Zuletzt verläßt er, blutbespritzt die Glieder,
Den Wald gefällt, und ringsum öd und tot,
Und tausend Jahr’ erneu’n sein Laub nicht wieder."

     Wie bei Verkündigung zukünft’ger Not
Des bangen Hörers Züge sich umschatten,
Der sich gefährdet glaubt und rings bedroht,

     So sah ich jetzo jenen andern Schatten,
Der zugehorcht, verstört und bange stehn,
Wie seinen Geist erfüllt die Worte hatten.

     Was ich von dem gehört, von dem gesehn,
Mich reizt’ es, ihren Namen nachzufragen,
Und bittend ließ ich meine Frag’ ergehn.

     Und den, der erst gesprochen, hört’ ich sagen:
"Du also willst, für dich tun soll ich dies,
Was du für mich zu tun mir abgeschlagen?

     Doch kargen will ich nicht, denn herrlich ließ
Gott in dir strahlen seine Huld und Güte.
Drum wisse, daß ich Guid del Duca hieß.

     Von Neid verbrannt war also mein Gemüte,
Daß, wenn ich sah, ein andrer sei erfreut,
Ich schwarz vor Gall’ in bitterm Ingrimm glühte.

     Hier mäh’ ich Saat, die ich dort ausgestreut.
O Sterbliche, was müßt ihr das begehren,
Was Ausschluß der Genossenschaft gebeut!

     Der hier ist Rainer, der zu Preis und Ehren
Das Haus von Calboli gebracht, des Mut
Und Kraft und Wert die Erben ganz entbehren.

     Denn alle sieht man jetzt aus seinem Blut
Das Schlechte tun, das Rechte träg versäumen,
Und zwischen Po, Berg, Ren und Meeresflut

     Sieht man’s nur sprossen noch in gift’gen Bäumen,
Und keinem Gärtner glückt’s, der schlechten Art
Wildwucherndes Gewürzel wegzuräumen.

     Wo mag der wackre Licio, wo Manard,
Wo Traversar, wo Guid Carpigna bleiben?
Ist jeder Romagnol heut ein Bastard?

     Ein Schmied muß in Bologna Äste treiben,
Und in Faenza jetzt ein Bernardin,
Der edle Sproß aus niederm Keim, bekleiden!

     Nicht staune, Tuscier, daß ich traurig bin,
Wenn ich des Guid von Prata noch gedenke,
Und des, der mit uns war, des Ugolin.

     Dann auf Tignoso die Erinnrung lenke,
Auf Traversars und Anastasens Haus,
Und über den enterbten Stamm mich kränke;

     Auf Ritter, Frau’n, auf Ruhe, Müh’ und Strauß,
Was wir aus Lieb’ und Edelsinn begannen,
Wo jetzt die Herzen sind voll Tück’ und Graus.

     Brettinoro, fliehst du nicht von dannen,
Da, um zu flieh’n Verderben, Schand und Hohn,
Die Guten allesamt aus dir entrannen!

     Wohl dir, Bagnacaval, dir fehlt der Sohn!
Weh, Castrocaro, dir, da mit Verderben
Dich solche Grafen, wie du zeugst, bedrohen!

     Gut handeln einst, wird erst ihr Dämon sterben,
Faenzas Herr’n, doch nimmer werden sie
Des Ruhmes reines Zeugnis sich erwerben.

     Dir, Ugolin von Fantoli, wird nie
Des edlen Namens reiner Glanz gebrechen,
Da dir das Schicksal keinen Sohn verlieh.

     Doch jetzt, Toskaner, geh; denn nicht zum Sprechen,
Mich reizt zum Weinen nur mein armes Land,
Und preßt mein Herz durch Untat und Verbrechen."

     Durchs Ohr ward jenen unser Gehn bekannt,
Drum wußten wir, da sie es schweigend litten,
Daß wir uns auf den rechten Weg gewandt.

     Indem wir einsam nun von dannen schritten,
Scholl eine Stimm’ uns zu, eh wir’s gedacht,
Gleich einem Blitze, der die Luft durchschnitten:

     Mich tötet, .wer mich trifft! Sie rief’s mit Macht
Und floh im schnellen Flug dann und verhallte,
Dem Donner gleich, der aus den Wolken kracht.

     Und wie sie kaum an uns vorüberwallte,
Braust’ eine zweite schon an unser Ohr,
Die schrecklich, wie ein zweiter Donner schallte:

     Ich bin Aglauros, die zum Stein erfror!
Und als ich an Virgil mich drängen wollte,
Schritt ich vor großer Angst zurück, nicht vor.

     Schon schwieg die Luft, kein dritter Donner rollte,
Da sprach Virgil: "Dies ist der harte Zaum,
Der auf der rechten Bahn euch halten sollte.

     Doch winkt des alten Feindes Köder kaum,
So laßt ihr euch in seinem Hamen fangen,
Gebt nicht dem Rufe, nicht dem Zügel Raum.

     Euch rufend, hält der Himmel euch umfangen,
Der, ewig schön, rings seine Kreise zieht,
Doch euer Blick bleibt an der Erde hangen,

     Und deshalb schlägt euch der, der alles sieht."



FÜNFZEHNTER GESANG
 

    So viel, als bis zum Schluß der dritten Stunde,
Vom Tagsbeginn des Wegs die Sphäre macht,
Die wie ein Kindlein tanzt im ew’gen Runde,

     So viel des Weges halt’, eh’ noch vollbracht
Ihr Tageslauf, die Sonne zu vollbringen;
Dort war es Vesperzeit, hier Mitternacht.

     Auf jenen Pfaden, die den Berg umringen,
Schien uns die Sonne mitten ins Gesicht,
Weil wir jetzt g’rade gegen Westen gingen.

     Da fiel ein Glanz mit lastendem Gewicht
Mir auf die Stirn, mich mehr als erst zu blenden.
Ich staunt’, und was es war, begriff ich nicht.

     Schnell deckt’ ich mir die Augen mit den Händen
Als wie mit einem Schirm, daß vor der Glut
Die schwachen Blicke Schutz und Ruhe fänden.

     Gleich wie der Strahl vom Spiegel, von der Flut
Nach jenseits hüpft, und dann beim Aufwärtssteigen,
So wie vorher beim Niedersteigen tut,

     Weil er von Linien, die sich senkrecht neigen,
So hier wie dort abweicht in gleichem Zug,
Wie uns die Kunst und die Erfahrung zeigen;

     So ward mein Auge jetzt in jähem Flug
Getroffen vom zurückgeworfnen Lichte,
Drob ich’s in Eile schloß und niederschlug.

     "Was, süßer Vater, ist dies? Dem Gesichte
Will, was ich tue, nicht zum Schutz gedeih’n.
Es scheint, als ob der Glanz hierher sich richte!"

     Drauf er: "Nicht staune, wenn in solchem Schein
Noch blendend dir des Himmels Diener nahen.
Ein Bote kommt und lädt zum Steigen ein.

     Bald wird, was erst die Augen tränend sahen,
Dir so zur Lust, als du nur Fähigkeit,
Sie zu empfinden, von Natur empfahen."

     Der Engel sprach zu uns voll Freudigkeit:
"Geht dorten ein auf minder schroffen Stiegen,
Als jene sind, die ihr gestiegen seid."

     Indem wir nun zusammen aufwärts stiegen,
Sang’s hinter uns: "Heil den Barmherz’gen, Heil!"
Und wieder klang’s: "Sei froh in deinen Siegen!"

     Und da wir beid’ allein, und minder steil
Die Treppen waren, dacht’ ich: Noch im Gehen
Wird Lehre wohl vom Meister dir zuteil.

     "Was mochte Guido bei dem Gut verstehen,
Das Ausschluß der Genossenschaft gebeut?"
Ich sprach’s, gewandt, ihm ins Gesicht zu sehen.

     "Weil stets sein Hauptfehl ihm den Schmerz erneut"
Sprach drauf Virgil, "will er dich weiser machen
Und tadelt drum, was er nun schwer bereut.

     Denn euer Sehnen geht nach solchen Sachen,
Die Mitbesitz verringert, die durch Neid
In eurer Brust der Seufzer Glut entfachen.

     Doch möchten in des Himmels Herrlichkeit
Des Menschen Wünsch’ ihr rechtes Ziel erkennen,
War’ eure Brust von solcher Angst befreit.

     Je mehrere dies Gut ihr eigen nennen,
Je mehr besitzt des Guts ein jeder dort,
Je stärker fühlt er sich in Lieb’ entbrennen."

     "Noch fass ich nichts," versetzt’ ich meinem Hort,
"Und mindre Zweifel hat vorher das Schweigen
In meiner Seel’ erweckt, als jetzt dein Wort.

     Kann höher je der Reichtum vieler steigen,
Wenn man ein Gut verteilt, als wenn es nicht
Gemeinsam wäre. Sondern einem eigen?"

     Und er: "Weil, nur auf Erdengut erpicht,
Dein Geist noch nicht den höhern Flug gewonnen,
Drum schöpfst du Finsternis aus wahrem Licht.

     Des Himmels unaussprechlich große Wonnen,
Sie eilen so ins liebende Gemüt,
Wie nach dem Spiegel hin der Strahl der Sonnen

     Sie geben sich je mehr, je mehr es glüht,
Und reicher strömt die ew’ge Kraft hernieder,
Je freudiger des Herzens Lieb’ erblüht.

     Erhebt die Seel’ erst aufwärts ihr Gefieder,
Dann liebt sie mehr, je mehr zu lieben ist,
Denn eine strahlt den Glanz der andern wieder--

     Und g’nügt mein Wort dir nicht, in kurzer Frist
Wird dort von dir Beatrix aufgefunden,
Durch welche du dann ganz befriedigt bist.

     Jetzt sorge nur, daß bald von deinen Wunden
Die fünf sich schließen wie das erste Paar,
Das von der Stirn durch Reu’ und Leid geschwunden."

     Schon wollt’ ich sagen: Deine Red’ ist klar!
Da war ich an des andern Kreises Saume,
Wo schnell mein Wort gehemmt durch Schaulust war.

     In einen Tempel schien, von wachem Traume
Dahingerissen, meine Seel’ entfloh’n,
Und Leute sah ich viel in seinem Raume.

     Am Eingang schien mit süßem Mutterton
Und zärtlicher Gebärd’ ein Weib zu sagen:
"Was hast du dies an uns getan, mein Sohn?

     Wir suchten dich voll Angst seit dreien Tagen,
Ich und der Vater"--sprach’s, und wundersam
Schien sie vom Weh’n der Luft davongetragen.

     Drauf vors Gesicht mir eine zweite kam,
Von Zähren naß, die--wohl war’s zu erkennen--
Dem Aug’ entpreßte zornerzeugter Gram.

     Sie rief: "Willst du den Herr’n der Stadt dich nennen,
Ob deren Namen Götter sich gegrollt,
Wo Strahlen jeder Wissenschaft entbrennen,

     Dann, Pisistrat, zahl’ ihm der Frechheit Sold,
Der’s wagte, deine Tochter zu umfassen!"
Allein der Herr, der liebreich schien und hold,

     Entgegnet’ ihr, die also rief, gelassen:
"Wird jener, der uns liebt, von uns verdammt,
Was tun wir dann an solchen, die uns hoffen?"--

     Dann sah ich eine Schar, von Zorn entflammt,
Und einen Jüngling dort, von ihr gesteinigt,
Tod! Tod! so schrien sie wütend allesamt.

     Er beugte sich, schon bis zum Tod gepeinigt,
Des Last ihn zu der Erde niederrang,
Doch seinen Blick dem Himmel stets vereinigt,

     Und fleht’ empor zu Gott in solchem Drang:
"Vergib der Wut, die gegen mich entbrannte!"
Mit einem Blicke, der zum Mitleid zwang.

     Als meine Seele sich von außen wandte
Zurück zu dem, was wahr ist außer ihr,
Und ich nun den nicht falschen Wahn erkannte,

     Da sprach mein Führer, der, nicht weit von mir,
Mich gleich dem Schläfer, der erwacht, erblickte:
"Nicht halten kannst du dich! Was ist mit dir?

     Bereits seit einer halben Stunde knickte
Dein Knie, du taumeltest, dein Auge brach,
Als ob dich Schlummer oder Wein bestrickte."

     "O süßer Vater, hörst du’s an"--dies sprach
Ich drauf zu ihm--"so will ich dir verkünden,
Was mir erschien, als mir die Kraft gebrach."

     "Ob mir entgegen hundert Masken stünden,"
Entgegnet’ er, "und deckten dein Gesicht,
Doch würd’ ich, was du denkst, genau ergründen.

     Das, was du sahst, du sahst’s, damit du nicht
Dich ungemahnt verschlössest jenem Frieden,
Des Strom hervor aus ew’ger Quelle bricht.

     Was ist dir? fragt’ ich nicht, wie der danieden
Zu fragen pflegt, des Auge nicht mehr schaut,
Sobald die Seel’ aus seinem Leib geschieden.

     Die Füße dir zu kräft’gen, fragt’ ich laut,
Denn treiben muß man so den wachen Trägen,
Den Tag zu nützen, eh’ der Abend graut."

     Wir gingen beid’ in sinnigem Erwägen
Dem Abend zu und sah’n, soweit man kann,
Der Sonne tiefem Strahlenglanz entgegen.

     Und sieh, ein Rauch kam nach und nach heran,
Der, schwarz wie Nacht, sich bis zu uns erstreckte,
Und nirgends traf man Raum zum Weichen an,

     Daher er bald uns Aug’ und Himmel deckte.



SECHZEHNTER GESANG
 

    Das Schwarz der Höll’ und einer Nacht, durchfunkelt
Nicht von des ärmsten Himmels bleichstem Schein,
Vom dichtesten der Nebel rings umdunkelt,

     Nie schloß es mich in grobem Schleier ein,
Als jener Rauch, der dorten uns umflossen;
Nie schien es mir so schmerzlich rauh zu sein.

     Nicht könnt’ ich steh’n, die Augen unverschlossen,
Drum nahte sich, und seine Schulter bot
Mein Führer mir treu, weis’ und unverdrossen.

     So wie der Blinde gern in seiner Not
Dem Führer nachfolgt, um nicht anzurennen
An was Gefahr bring’ und vielleicht den Tod,

     So folgt’ ich ihm, ohn’ etwas zu erkennen,
Durch widrig bittern Qualm und horcht’ auf ihn,
Der sprach: "Gib Achtung, daß wir uns nicht trennen."

     Ich hörte Stimmen dort, und jede schien
Um Gnad’ und Frieden zu dem Lamm zu stöhnen,
Ob des der Herr die Sünden uns verzieh’n.

     Agnus Dei hört’ ich den Anfang tönen,
Wobei sich aller Wort und Weise glich,
Und voller Einklang herrscht’ in ihren Tönen.

     "Dies sind wohl Geister, Herr!" so wandt’ ich mich
An ihn, und er: "Es ist, wie du entscheidest;
Sie lösen von der Zornwut Schlingen sich."

     "Wer bist du, der du unsern Rauch durchschneidest,
Von dem man, wie du von uns sprichst, vernimmt,
Daß du die Zeit dir noch nach Monden scheidest?"

     Die Rede ward von einem angestimmt,
Drum sprach mein Meister: "Stille sein Begehren
Und frag’ ihn, ob man hier nach oben klimmt."

     "Geschöpf, das, um zum Schöpfer heimzukehren,
Sich reiniget und schön wird wie zuvor,
Begleite mich, dann sollst du Wunder hören!"

     So ich, und er: "Ich schreite mit dir vor,
So weit ich darf, und, um uns nicht zu scheiden,
Führ’ uns im Rauch an Auges Statt das Ohr."

     Drauf ich: "Obschon die Hüllen mich umkleiden,
Die nur der Tod löst, schreit’ ich doch hinauf
Und drang bis hierher durch der Hölle Leiden.

     Und nahm der Herr mich so zu Gnaden auf,
Daß ich vermag zu ihm emporzustreben,
Ganz gegen dieser Zeit gewohnten Lauf,

     So sage mir, wer warst du einst im Leben,
Und ob ich hier die rechte Straße hielt,
Denn unsre Richtung wird dein Wort uns geben."--

     "Mark hieß ich einst, und was die Welt enthielt,
Ich konnt’ es wohl und strebte nach dem Preise,
Nach welchem jetzt auf Erden keiner zielt.

     G’rad’ vor dir ist der Weg zum höhern Kreise."
Er sprach’s: "Noch bitt’ ich dich," So fügt’ er bei,
"Fürbittend denke mein am Ziel der Reise."

     Und ich zu ihm: "Bei meiner Treu, es sei!
Doch wisse, daß ich einen Zweifel finde,
An dem ich berste, sag’ ich ihn nicht frei.

     Er war einst einfach; doppelt jetzt empfinde
Ich ihn in mir, nach dem, was du gesagt,
Sobald ich mit dem Dort das Hier verbinde.

     Wahr ist’s, die Welt, so wie du mir geklagt,
Ist öd an jeder Tugend, jeder Ehre,
Und ganz mit Bosheit schwanger und geplagt.

     Doch daß ich sie erkenn’ und ändern lehre,
So bitt’ ich, deute jetzt die Ursach’ mir.
Der sucht sie dort, der in des Himmels Sphäre."

     Ein bang gepreßtes Ach! entwand sich hier
Laut seiner Brust, und dann begann er: "Wisse,
Die Welt ist blind, und du, Freund, kommst von ihr.

     Ihr, die ihr lebt, sprecht immer nur, es müsse
Der Himmel selber Schuld an allem sein,
Als ob er euch gewaltsam mit sich risse.

     Wär’s also, sprich, wo wäre nur ein Schein
Von freiem Willen? Wie entspräch’s dem Rechte,
Daß Lust der Tugend folgt, dem Laster Pein?

     Die Triebe pflanzen ein des Himmels Mächte,
Nicht sag’ ich all; allein auch dies gesetzt,
Ward euch Erkenntnis auch fürs Gut’ und Schlechte,

     Und freier Will’--und, wenn er, auch verletzt
Und müde, standhaft mit dem Himmel streitet,
So siegt er, wohlgenährt, doch stets zuletzt.

     Die Urkraft, welche sich durchs All verbreitet,
Beherrscht die Freien und erschafft den Geist,
Den nicht der Himmel mehr als Vormund leitet.

     Drum, wenn die Gegenwart euch mit sich reißt,
In euch nur liegt der Grund, liegt in euch allen,
Wie, was ich sage, deutlich dir beweist.

     Es kommt aus dessen Hand, des Wohlgefallen
Ihr lächelt, eh’ sie ist, gleich einem Kind,
Das lacht und weint in unschuldsvollem Lallen,

     Die junge Seele, die nichts weiß und sinnt,
Als daß, vom heitern Schöpfer ausgegangen,
Sie gern dahin kehrt, wo die Freuden sind.

     Sie schmeckt ein kleines Gut erst, fühlt Verlangen
Und rennt ihm nach, wenn sie kein Führer hält,
Kein Zaum sie hemmt, der Neigung nachzuhangen.

     Gesetz, als Zaum, ist nötig drum der Welt,
Ein Herrscher auch, der von der Stadt, der wahren,
Im Auge mindestens den Turm behält.

     Gesetze sind, doch wer mag sie bewahren?
Kein Mensch! Denn seht, ein Hirt, der wiederkaut,
Doch nicht gespaltne Klau’n hat, führt die Scharen;

     Daher die Herde, die dem Führer traut,
Der das verschlingt, wonach sie selber lüstert,
Nur dies verzehrt und nicht nach Höherm schaut.

     Drum, was man auch von anderm Grunde flüstert,
Nicht die Natur ist ruchlos und verkehrt,
Nur schlechte Führung hat die Welt verdüstert.

     Rom hatte, da’s zum Glück die Welt bekehrt,
Zwei Sonnen, und den Weg der Welt hatt’ eine,
Die andere den Weg zu Gott verklärt.

     Verlöscht ward eine von der andern Scheine,
Und Schwert und Hirtenstab von einer Hand
Gefaßt im übel passenden Vereine.

     Denn nicht mehr fürchten, wenn man sie verband,
Sich Hirtenstab und Schwert--du kannst’s begreifen,
Denn an den Früchten wird der Baum erkannt.

     Man sah im Land, das Etsch und Po durchstreifen
Eh’ man dem Kaiser Widerstand getan,
Stets edle Sitt’ und Kraft und Tugend reifen.

     Jetzt finden, die den Guten sich zu nah’n
Und sie zu sprechen, sich errötend scheuen,
In jenem Land vollkommen sichre Bahn.

     Die alten Zeiten schelten dort die neuen
Noch durch drei Greise von der echten Art,
Die sich des nahen Todes harrend freuen.

     Konrad Pallazzo ist es, und Gherard
Und Guid Castel, der besser heißen würde
Nach fränk’scher Art: der ehrliche Lombard.

     Roms Kirche fällt, weil sie die Doppelwürde,
Die Doppelherrschaft jetzt in sich vermengt,
In Kot, besudelnd sich und ihre Bürde"--

     "Mein Marco," sprach ich, "klares Licht empfängt
Durch deine Rede jetzt mein Geist--ich sehe,
Was aus der Erbschaft Levis Stamm verdrängt.

     Doch sage, welcher Gherard, meinst du, stehe
Als Trümmer noch versunkner guter Zeit,
So, daß er dieser Zeit Verderbnis schmähe?--

     "Betrügst, versuchst du mich in meinem Leid?"
So er: "Du, Tuscisch sprechend, tust dergleichen,
Als kenntest du nicht Gherards Trefflichkeit?

     Den Namen kenn’ ich, sonst kein andres Zeichen,
Wenn man’s von seiner Gaja nicht entnimmt,
Gott sei mit dir, hier muß ich von euch weichen.

     Sieh, wie in weißem Glanz der Rauch entglimmt.
Fort muß ich, denn schon ist der Engel dorten;
Ich scheid’, eh’ er mich wahr hier sprechend nimmt."

     Er sprach’s und horchte nicht mehr meinen Worten.



SIEBZEHNTER GESANG
 

    Denk’, Leser, wenn dich Nebel je umstrickte,
Auf Alpenhöh’n, durch den, wie durch die Haut
Des Maulwurfs Auge blickt, das deine blickte,

     Wie, wenn der feuchte Qualm, der dich umgraut,
Nun dünn wird und beginnt, sich zu erhellen,
Dann matt hinein das Rund der Sonne schaut;

     Und doch vermagst du kaum, dir vorzustellen,
Wie ich die Sonn’ itzt wiedersah, die sich
Soeben senken wollt’ ins Bett der Wellen.

     So, gleichen Schritts mit meinem Hort, entwich
Ich aus der Wolk’, als wie aus dunkler Klause,
Zum Strahl, der sterbend schon am Strand erblich.

     Phantasie, die du aus ihrem Hause
Weithin die Seel’ entrückst, daß man’s nicht spürt,
Ob ringsumher Trompetenschall erbrause,

     Was regt dich auf, wenn nichts den Sinn berührt?
Das Himmelslicht erregt dich, das hernieder
Von selber strömt, das auch ein Wille führt.

     Die Arge sah ich, die sich im Gefieder
Des Vogels barg, der ewig Reu’ und Gram
Verhaucht im Klang der süßen Klagelieder.

     Und ganz zurückgedrängt ward wundersam
Hier meine Seel’ in sich, zu nichts sich neigend
Und nichts aufnehmend, was von außen kam.

     Darauf erschien, der Phantasie entsteigend,
Ein Mann am Kreuz, so trotzig-stolz wie er
Von Ansehn war, sich auch im Tode zeigend.

     Ich sah dabei den großen Ahasver,
Esther, sein Weib, und Mardochai, den Frommen,
In Wort und Tat so ganz, rund um ihn her.

     Und dieses Bild zersprang, kaum wahrgenommen,
Gleich einer Blase, die mit kurzem Schein
Im Wasser glänzt, wenn sie emporgeschwommen.

     Dann zeigte mein Gesicht ein Mägdelein.
"O Fürstin, Mutter!" rief die Tränenvolle,
"Was wolltest du aus Zorn vernichtet sein!

     Du starbst, daß dein Lavinia bleiben solle.
Bin ich nun dein? Nicht andrer Tod, es zwingt
Der deine mich zu bittrem Tränenzolle."

     Gleich wie der Schlaf in jähem Schreck zerspringt,
Wenn Strahlen an des Schläfers Antlitz prallen,
Doch eh’ er ganz erstirbt, sich sträubt und ringt,

     So sah ich jetzt mein Traumbild niederfallen,
Als mir ein Licht ins Antlitz schlug, so klar,
Wie’s nie zur Erde strömt aus Himmelshallen.

     Ich wandte mich, zu sehen, wo ich war,
Als eine Stimm’ erklang: "Hier müßt ihr steigen!"
Und ich vergaß des andern ganz und gar.

     Sie zwang den Willen, sich dorthin zu neigen,
Zu sehn, wer sprach, und ließ, bis ich belehrt,
Die Unruh’ nicht in meinem Innern Schweigen.

     Wie von der Sonne, die den Blick beschwert,
Durch zuviel Licht ihr eignes Bild bedeckend,
Ward von dem Glanze meine Kraft verzehrt.

     "Ein Himmelsgeist ist’s, uns den Weg entdeckend,
Der aufwärts führt, auch ohne daß wir fleh’n,
Und selber sich in seinem Licht versteckend.

     Wie wir uns selber tun, ist uns gescheh’n,
Denn wer die Not erblickt und harrt der Bitte,
Ist böslich schon geneigt, sie zu verschmäh’n.

     Auf! Solchem Rufe nach mit raschem Tritte!
Wir müssen aufwärts, eh’ das Dunkel naht,
Sonst löst der Tag erst die gehemmten Schritte."

     Mein Führer sprach’s, worauf zum Felsgestad’
Wir, hingewandt nach einer Stiege, gingen,
Und wie ich auf die erste Stufe trat,

     Fühlt’ ich ein Weh’n, wie von bewegten Schwingen
Im Angesicht, und laut erklang’s, mir nah:
"Heil den Friedfert’gen, die den Zorn bezwingen."

     Der Sonne letzte bleiche Strahlen sah
Ich über uns, gefolgt von nächt’gen Schatten.
Und schon erschienen Sternlein hier und da.

     "O meine Kraft, was mußt du so ermatten!"
So dacht’ ich still bei mir, denn ich empfand,
Daß sich entstrickt der Füße Nerven hatten.

     Wir waren auf der höchsten Stufe Rand
Und standen fest, wie angeheftet, dorten,
Gleich einem Kahn in des Gestades Sand.

     Aufmerksam lauscht’ ich erst nach allen Orten,
Ob nichts zu hören sei, und wandte nun
Zu meinem Meister mich mit diesen Worten:

     "Mein süßer Vater, sprich, welch übles Tun
Führt uns zur Läuterung in diesem Kreise.
Laß nicht die Rede, gleich den Füßen, ruh’n."

     "Trägheit zum Guten", Sprach darauf der Weise,
"Zahlt hier die dort gemachten Schulden erst;
Hier wird der träge Rudrer schnell zur Reife.

     Merk’ auf, damit du’s deutlicher erfährst,
Weil ungenutzt sonst unser Stillstand bliebe--
Frucht bringt dein Weilen, wenn du dich belehrst.

     Nicht Schöpfer, noch Geschöpf ist ohne Liebe,
Noch war es je. Du weißt, in der Natur
Und in der Seel’ entkeimen ihre Triebe.

     Nie irrt die erste von der rechten Spur.
Die zweite kann im Gegenstande fehlen
Und bald zu stark sein, bald zu lässig nur.

     Weiß sie zum Ziel das erste Gut zu wählen,
Ist sie beim zweiten nicht zu heiß, zu kalt,
Dann reizt sie nicht zu schlechter Lust die Seelen

     Doch schweift sie ab zum Bösen, ist sie bald
Zum Guten lau, zu eifrig bald im Rennen,
So tut dem Schöpfer das Geschöpf Gewalt.

     So muß die Liebe, wie du wirst erkennen,
In euch die Saat zu jeder Tugend streu’n,
Doch auch zu allem, was wir Laster nennen.

     Nun, weil ob ihres Gegenstands sich freu’n
Die Liebe muß, an dessen Heil sich weiden,
Drum hat kein Ding den eignen Haß zu scheuen.

     Und weil kein Sein sich kann vom Ursein scheiden
Und ohne dieses für sich selbst bestehn,
Muß dies zu hoffen jeder Trieb vermeiden.

     Drum kannst du, folgr’ ich richtig, deutlich sehn:
Dem Nächsten gilt die Liebe nur zum Schlimmen
Und kann aus dreifach schmutz’gem Quell entstehn.

     Der hofft zur Herrlichkeit emporzuklimmen
Durch andrer Fall, und dieses muß zur Lust,
Die Größe zu erniedrigen, ihn stimmen.

     Der Gunst, des Ruhmes und der Macht Verlust
Scheut der, wenn sich ein andrer aufgeschwungen,
Und liebt das Gegenteil mit banger Brust.

     Der ist entrüstet von Beleidigungen,
Drob Durst nach Rach’ in ihm sich offenbart,
Bis ihm dem andern weh zu tun gelungen.

     Ob dieser Liebe von dreifacher Art
Weint man dort unten--jetzt vernimm von Liebe,
Die nicht durch rechtes Maß geregelt ward.

     Nach einem Gute strebt mit dunkelm Triebe
Der Mensch und fühlt, daß seiner Wünsche Glut,
Erreicht’ er’s nicht, ihm unbefriedigt bliebe.

     Die träge Lieb’ ist’s zu dem wahren Gut,
Die säumt, es zu erschau’n, es zu erringen,
Die hier nach echter Reue Buße tut.

     Gut scheinen andre Güter, doch sie bringen
Nicht wahres Glück, sind Stoff und Wurzel nicht,
Aus welchen Früchte wahren Heils entspringen.

     Die Lieb’, auf solches Gut zu sehr erpicht,
Büßt in drei Kreisen oberhalb mit Zähren;
Doch wie sie dreifach irrt von Recht und Pflicht,

     Das sollst du selbst dir suchen und erklären."



ACHTZEHNTER GESANG
 

    Mein hoher Lehrer hatte seiner Lehre
Ein Ziel gesetzt und blickt’ aufmerksam mir
Ins Angesicht, ob ich zufrieden wäre.

     Ich, noch gereizt von frischem Durst nach ihr,
Schwieg äußerlich, doch sprach bei mir im stillen:
"Beschwert ihn wohl zu viele Wißbegier?"

     Doch der wahrhafte Vater, der den Willen,
Den schüchternen, bemerkt, gab sprechend jetzt
Mir neuen Mut, des Sprechens Lust zu stillen.

     Drum ich: "Dein Licht, mein teurer Meister, letzt
Mein Auge so, daß es an allen Dingen,
Die du beschreibst, klar schauend sich ergötzt.

     Doch, süßer Vater, laß es tiefer dringen.
Was ist doch jene Lieb’--ich bitte, sprich!--
Aus welcher gut’ und schlechte Werk’ entspringen?"

     "Scharf richte deines Geistes Aug’ auf mich,"
Versetzt’ er, "und den Irrtum jener Blinden,
Die sich zu Führern machen, lehr’ ich dich.

     Der Geist, geschaffen, Liebe zu empfinden,
Bewegt sich schnell zu allem, was gefällt,
Wenn Reize sich, ihn zu erwecken, finden.

     Was Wirklichkeit euch vor die Augen stellt,
paßt der Begriff, um es dem Geist zu zeigen,
Der dann dorthin nur sich gerichtet hält.

     Und diese Richtung, dies Entgegenneigen,
Lieb’ ist es, ist Natur, die dem, was schön
Und reizend ist, sich hingibt als ihm eigen.

     Dann, wie die Flamm’ emporglüht zu den Höh’n
Durch ihre Form bestimmt, dorthin zu streben,
Wo ihre Stoffe minder schnell vergeh’n,

     So scheint der Geist der Sehnsucht nur zu leben,
Der geistigen Bewegung, die nicht ruht,
Bis, was er liebt, sich zum Genuß ergeben.

     Drum sieh, wie not die Wahrheit jenen tut,
Die, lehren wollend, noch den Irrwahn hegen,
Jedwede Lieb’ an sich sei recht und gut.

     Gut ist vielleicht ihr Grundstoff allerwegen;
Doch sei das Wachs auch echt und gut, man preist
Das Bild, drin abgedrückt, noch nicht deswegen."

     Drauf ich: "Dein Wort und mein folgsamer Geist,
Sie lassen mich der Liebe Wesen sehen,
Obgleich der Geist noch zweifelschwanger kreist.

     Denn, muß durch äußern Reiz die Lieb’ entstehen,
Lenkt die Natur die Seele, wie ist’s dann
Verdienstlich, ob wir krumm, ob g’rade gehen?"--

     "Hör’ itzt, wie weit Vernunft hier schauen kann,"
So er, "dort stellt Beatrix dich zufrieden,
Denn jenseits fängt das Werk des Glaubens an.

     Die wesentliche Form--sie ist geschieden
Vom Stoff und ihm vereint, und eine Kraft,
Die ihr nur eigen ist, ist ihr beschieden.

     Sie kann, nicht fühlbar, bis sie wirkt und schafft,
Durch Wirkung nur sich zeigen und bewähren,
Wie durch das Laub des Baumes Lebenssaft.

     Daher vermag der Mensch nicht, zu erklären,
Woher zuerst in ihm Begriff entstehn,
Woher das erste Sehnen und Begehren.

     Denn wie den Trieb, dem Honig nachzugehn,
Die Bien’ erhielt, so habt ihr sie erhalten,
Die nicht zu loben ist und nicht zu schmäh’n.

     Doch fühlt ihr auch die Kraft, die Rat gibt, walten,
Und sie, der andern Haupt und Herrscherin,
Soll Wach’ an eures Beifalls Schwelle halten.

     Sie, des Verdienstes und der Schuld Beginn,
Nimmt, wie euch gut’ und schlechte Lieb’ entzündet,
Sie auf und lenkt zu eurer Wahl euch hin.

     Drum haben jene, so die Sach’ ergründet,
Die angeborne Freiheit wohl bedacht,
Und euch die Lehren der Moral verkündet.

     Mag wirklich nun im Innern, angefacht
Von der Notwendigkeit, die Lieb’ entbrennen,
So habt ihr doch auch sie zu zügeln Macht.

     Die edle Kraft wird Beatrice nennen,
Wenn sie dir kund vom freien Willen tut,
Drum merk’ es, um des Wortes Sinn zu kennen."

     Der Mond, der fast bis Mitternacht geruht,
Kam itzt hervor, der Sterne Zahl beschränkend,
Gleich einem Kessel anzusehn von Glut,

     Den Pfad dem Himmelslauf entgegenlenkend,
Den Pfad, den Sol, von Rom gesehn, durchglühe
Inmitten Sard’ und Cors’ ins Meer sich senkend.

     Der edle Geist, ob des im Ruhme blüht
Pietola vor Mantuas andern Orten,
War jetzt nicht mehr durch meine Last bemüht.

     Ich, der die Zweifel all in seinen Worten
Gelöset sah und alles hell und klar,
Stand wie ein Schläfriger hinbrütend dorten.

     Doch plötzlich naht’ im Kreislauf eine Schar
Und scheuchte diese Schläfrigkeit des Matten,
Da sie bereits in unserm Rücken war.

     Und wie Böotiens Flüss’ in nächt’gen Schatten
Ein wild Gedräng’ an ihrem Strande sah’n,
Wenn die Thebaner Bacchus nötig hatten,

     So sah ich jen’ im Kreise trabend nah’n,
Und alle trieb--so wollte mir’s erscheinen--
Gerechte Lieb’ und wackrer Eifer an.

     Und schon bei uns, denn zögern sah ich keinen,
War angelangt der ganze große Hauf,
Da riefen die zwei Vordersten mit Weinen:

     "Rasch zum Gebirge ging Marions Lauf;
Und Cäsar, um Ilerda zu gewinnen,
Umschloß Marseill und brach nach Spanien auf."

     "Rasch, laßt aus Trägheit nicht die Zeit entrinnen,"
Schrien alle nun, "es macht der rege Fleiß
Zum Guten neu der Gnade Lenz beginnen."--

     "O ihr, in denen Eifer scharf und heiß
Das, was ihr dort aus Lauheit nicht vollbrachtet,
Was ihr versäumt, wohl zu ersetzen weiß,

     Der, welcher lebt--nicht sag’ ich Lügen--trachtet
Emporzusteigen, eh’ der Morgen wach,
Drum sagt den Weg, den ihr den nächsten achtet."

     Mein Führer sagte dies, und einer sprach:
"Wollt ihr zum Orte, wo der Fels, gespalten
Zur Schlucht, euch durchzieh’n läßt. So folgt uns nach.

     Uns ist es nicht erlaubt, uns aufzuhalten,
Denn Eile treibt uns fort, drum mögt ihr nicht,
Was uns das Recht gebeut, für Grobheit halten.

     Ich übt’ in Zenos Haus des Abtes Pflicht,
Unter des guten Rotbart Herrscherstabe,
Von welchem Mailand noch mit Schmerzen spricht.

     Und einer, schon mit einem Fuß im Grabe,
Er weint, gedenkend jenes Klosters, bald,
Daß er gehabt dort Macht und Ansehn habe,

     Weil er den Sohn, verpfuscht an der Gestalt,
Noch mehr verpfuscht an Geiste, schlechtgeboren,
Anstatt des wahren Hirten dort bestallt."

     Ob er noch sprach? Ob schwieg?--vor meinen Ohren
Verklang, sich schnell entfernend, jener Ton.
Doch merkt’ ich dies und hab’ es nicht verloren.

     Und er, in jeder Not mein Helfer schon,
Sprach: "Sieh dorthin, woher die beiden kommen,
Die Trägheit scheuchend und ihr selbst entfloh’n."

     Sie riefen jenen nach: "Erst umgekommen
War jenes Volk, dem sich das Meer erschloß,
Bevor der Jordan seine Herr’n bekommen.

     Und jenes, das die edle Müh’ verdroß,
Bis an sein Ziel Äneen zu begleiten,
Es ward seitdem ein ruhmlos schlechter Troß."

     Die Schatten schwanden kaum in fernen Weiten,
Als ein Gedank’ aufs neu’ in mir entstand,
Und dieser erste zeigte bald den zweiten,

     Dem sich verwirrt der dritte, viert’ entwand,
Bis mir zuletzt die Augenlider sanken;
Und wie verschmelzend Bild um Bild verschwand,

     Da ward zum Traum das Wogen der Gedanken.



NEUNZEHNTER GESANG
 

    Zur Stunde, da, vom Erdqualm überwunden,
Oft vom Saturn, den Nachtfrost zu durchlau’n,
Der Tagesglut die Kraft dahingeschwunden,

     Wenn in dem Osten vor des Frühlichts Grauen
Ihr größtes Glück die Geomanten sehen,
Wo’s kurze Zeit sich hält in nächt’gem Braun,

     Sah ich ein Weib im Traume vor mir stehen,
Kalkweiß, verstümmelt, stotternd, krummgebückt,
Und schielend sah ich sie die Augen drehen.

     Ich schaut’ auf sie--wie der, den Nachtfrost drückt,
Gestärkt wird und belebt vom Blick der Sonnen,
So wurde sie von meinem Blick durchzückt.

     Schnell sprang das Band, das ihre Zung’ umsponnen;
Sie richtete sich auf; ein roter Schein
Färbt’ ihr Gesicht, wie Hauch der Liebeswonnen.

     Kaum fühlte sie die Zunge sich befrei’n,
Als sie ein Lied begann, so holden Sanges,
Daß ich auf nichts horcht’, als auf sie allein.

     "Ich, der Sirenen Süßeste," so klang es,
"Ich bin’s, durch die vom Weg der Schiffer schweift;
Denn wer mich hört, ist voll des Wonnedranges.

     Mir folgt’ Ulyß, der lang’ umhergestreift,
Und wie Entzücken ihn und Wollust kirren,
Verläßt mich keiner, der mich ganz begreift."

     Noch hört’ ich in der Luft die Töne schwirren,
Sieh, da erschien ein heil’ges Weib, mir nah,
Die Sängerin beschämend zu verwirren.

     "Virgil! Virgil! sprich, wer ist diese da?"
Sie rief’s mit Zorn, als sie dies Weib entdeckte
Indes er fest nur ihr ins Auge fah.

     Sie aber riß das Kleid, das jene deckte,
Ihr vorn entzwei, daß mir der Bauch erschien,
Aus dem Gestank quoll, welcher mich erweckte.

     Ich schlug die Augen auf und sah auf ihn.
"Schon dreimal rief ich dich," begann der Weise.
"Auf, laß uns jetzt zur Felsenöffnung zieh’n."

     Ich richtete mich auf, und alle Kreise
Des heil’gen Bergs erfüllte Morgenpracht
Und leuchtet’ hinter uns zu unsrer Reise.

     Ich folgt’ ihm nach und neigte, längst erwacht,
Die Stirn, wie einer, der in schweren Sinnen
Sich selbst zum halben Brückenbogen macht.

     "Kommt, hier steigt auf!" So hört’ ich’s nun beginnen,
Mit Tönen, wie sie nie im ird’schen Land,
So huldvoll und so süß, das Herz gewinnen.

     Die Flügel, wie des Schwanes, ausgespannt,
Winkt’ uns der Engel vor, und beide gingen
Wir durch des Felsens enge Doppelwand.

     Er weht’ uns an mit den bewegten Schwingen
Und sprach: "Heil dem, der stark das Leid erträgt,
Denn reichen Trost wird seine Seel’ erringen."

     "Was hast du, das dich immer noch erregt?
Was sinkt verworren noch dein Blick zur Erden?"
So sprach Virgil, als wir uns fortbewegt.

     "Ein neu Gesicht--noch seh’ ich die Gebärden"--
Versetzt’ ich, "macht mich so in Zweifeln gehn!
Noch kann ich dieses Bilds nicht ledig werden."--

     "Die alte Hexe--hast du sie gesehn,
Ob der man dorten klagt, wohin wir reisen,"
Sprach er, "und wie man’s macht, ihr zu entgehn?

     Doch weiter jetzt. Schau auf! In mächt’gen Kreisen
Wird dort im klaren himmlischen Gebiet
Lockbilder dir der ew’ge König weisen!"

     Wie erst der Falk auf seine Füße sieht,
Doch dann nicht säumt, sich nach dem Ruf zu wenden,
Sich streckt und fliegt, wohin die Beut’ ihn zieht.

     So ich--so klomm ich zwischen Felsenwänden,
Soweit der Weg sich hebt im engen Schlund,
Bis wo die Stiegen auf dem Vorsprung enden.

     Und als ich frei im fünften Kreise stund,
Da lagen Leute, die sich weinend plagten,
Das Auge ganz hinabgewandt, am Grund.

     "Ach, meine Seele klebt am Staube!" klagten
Sie all, und ihrer Seufzer laut Getön,
Es ließ mich kaum vernehmen, was sie sagten.

     "Ihr Gotterwählte, deren Angstgestöhn
Gerechtigkeit und Hoffnung mild versüßen,
O sprecht, wo ist die Stiege zu den Höh’n?"

     "Kommt ihr, gewiß, nicht liegend hier zu büßen,
So nehmt nur links den Felsen euren Lauf,
Dann liegt der Eingang bald vor euren Füßen."

     So bat Virgil, und so versetzt’ es drauf
Nicht weit von uns, und, schnell erratend, klärte
Ich, was drin sonst verborgen war, mir auf.

     Als ich den Blick nach dem des Führers kehrte, .
Stimmt’ er mit frohem Winke gern mir bei,
Ich möge tun, was mein Gesicht begehrte.

     Kaum stand mir nun nach Wunsch zu handeln frei,
So sucht’ ich ihn, des Wort den Sinn verborgen:
Er wisse nicht, daß ich noch lebend sei.

     Und sprach: "O Geist, für den des Heiles Morgen
Durch Tränen früher tagt, o laß für mich
Ein wenig ab von deinen größern Sorgen.

     Wer warst du? Und was kehrt dein Rücken sich
Empor? Und dort, woher ich, noch im Leben,
Gekommen bin, dort bitt’ ich dann für dich."

     "Wie wir hier liegen für verkehrtes Streben,
Bald hörst du’s," sprach er, "doch vernimm zuvor:
Mir waren Petri Schlüssel übergeben.

     Bei Siestri rollt aus einem Tal hervor
Ein schöner Fluß, den das Geschlecht der Meinen
Zu seinem ersten Titel sich erkor.

     Ich fühlt’ als Papst fünf Wochen lang, daß einen,
Der rein die Stola hält, sie so beschwert,
Daß leicht, wie Flaum, all andre Bürden scheinen.

     Und leider, ward ich nur zu spät bekehrt;
Doch als ich zu dem Heil’gen Stuhl gelangte,
Da ward ich von des Lebens Trug belehrt.

     Ich sah, daß dort das Herz nie Ruh’ erlangte,
Daß jenes Leben mir nichts Höh’res bot,
Daher ich heiß nach diesem nur verlangte.

     Bis dahin war ich arm, getrennt von Gott,
Und völlig machte mich der Geiz zum Sklaven,
Dafür sie mich bestraft mit dieser Not.

     Die Läutrungsqualen, die mich hier betrafen,
Tun dir des Geizes Art und Wesen kund,
Und auf dem Berg gibt’s keine härtern Strafen.

     Wie einst das Auge nicht nach oben stund,
Und nur gefesselt war von ird’schen Dingen,
So drückt’s Gerechtigkeit hier an den Grund.

     Und wie den Trieb, das Gute zu vollbringen,
Der Geiz erstickt und nimmer handeln läßt,
So hält Gerechtigkeit in festen Schlingen

     Hier Hand und Fuß gebunden und gepreßt;
So liegen wir, bis uns der Herr die Glieder
Einst wieder löst, hier unbeweglich fest."

     Antworten wollt’ ich ihm und kniete nieder,
Doch, da ich sprach und er durchs Ohr erkannt,
Daß Ehrfurcht mich gebeugt, begann er wieder:

     "Was kniest du hier?" Und ich drauf: "Ich empfand
Ob deiner Würde Vorwürf im Gewissen,
Daß ich vor dir noch g’rad’ und aufrecht stand."

     "Bruder, steh auf!"--so er--"du mußt ja wissen,
Dein Mitknecht bin ich nur von einer Macht,
Der du und ich und all uns beugen müssen.

     Und hattest du des heil’gen Spruches acht:
Sie freien nicht, so wirst du dir erklären,
Was ich bei meiner Rede mir gedacht.

     Jetzt geh. Dein Weilen hemmt den Lauf der Zähren,
Die früher mir--denk’ an dein eignes Wort--
Das Morgenlicht des ew’gen Heils gewähren.

     Alagia, eine Nichte, hab’ ich dort,
Gut von Natur, reißt nicht zu schlechten Trieben
Sie der Verwandten übles Beispiel fort,

     Und sie allein ist jenseits mir geblieben."



ZWANZIGSTER GESANG
 

    Schwer kämpft der Wille gegen bessern Willen,
Drum zog ich ungern jetzt vom Quell den Mund,
Weil er es wünscht’, ohn’ erst den Durst zu stillen.

     Wir gingen einen Weg, wo frei der Grund
Zum Gehen war, entlang dem Felsgestade,
Gleich engem Steg am Mauerzinnenrund.

     Denn jene Schar, die sich im Tränenbade
Vom Übel, das die Welt erfüllt, befreit,
Versperrt’ uns mehr nach außen hin die Pfade.

     Du alte Wölfin, sei vermaledeit!
Kein Tier erjagt sich Beute gleich der deinen,
Doch bleibt dein Bauch noch endlos hohl und weit.

     O Himmel, dessen Kreislauf, wie wir meinen,
Der Erde Sein und Zustand wandeln soll,
Wann wird der Held, der sie vertreibt, erscheinen?

     Wir gingen langsam fort und mühevoll
Ich, horchend, als aus jener Schatten Mitte
Ein jammervoller Klageton erscholl.

     "Maria, Süße!" klang’s vor meinem Schritte,
Und wie ein kreißend Weib zu jammern pflegt,
So kläglich schien der Ruf der frommen Bitte.

     "Du warst so arm!" so sagt’ es dann bewegt,
"Der Armut sehn wir jene Kripp’ entsprechen,
In welche du die heil’ge Frucht gelegt."

     "Fabricius, Wackrer!" hört’ ich’s weiter sprechen,
"Tugend mit Armut schien dir mehr Gewinn
Als der Besitz des Reichtums mit Verbrechen."

     Gar wohl gefiel mir dieser Rede Sinn,
Und um zu sehn, wer von den Felsenbänken
Sie ausgesprochen, wandt’ ich mich dahin.

     Und weiter sprach er noch von den Geschenken,
Die Nikolaus gemacht den Mägdelein,
Um sie zum Weg der Ehre hinzulenken.

     "O Geist, der du so wohl sprichst," fiel ich ein,
"Sprich jetzt, wer warst du und aus welchem Grunde
Erneust du hier so würd’ges Lob allein?

     Nicht unbelohnt soll bleiben solche Kunde,
Kehr’ ich zurück zum Rest der kurzen Bahn
Des Lebens, das da eilt zur letzten Stunde."

     Und er: "Nicht will von dort ich Hilf empfah’n,
Doch red’ ich, denn mir strahlt im hellen Lichte
Die Huld, die Gott dir vor dem Tod getan.

     Des Baumes Wurzel bin ich, der in dichte
Umschattung hüllt die ganze Christenheit,
Von dem man selten nur pflückt gute Früchte.

     Doch wäre schon die Rache nicht mehr weit,
Wenn Macht Gent, Brügge, Lille und Douai hätten,
Auch bitt’ ich drum des Herrn Gerechtigkeit.

     Hugo bin ich, der Stammherr der Capetten,
Philipp’ und Ludwige, die auf den Thron
Des schönen Frankreichs jetzt sich üppig betten.

     Als ich lebt’ in Paris, ein Metzgersohn,
Erstarb der Königsstamm in allen Zweigen,
Und nur noch einer lebt’ in Schmach und Hohn;

     Da macht’ ich mir des Reiches Zaum zu eigen,
Und so vermehrt’ ich meine Macht alsdann,
So sah ich sie durch Land und Freunde steigen,

     Daß den verwaisten Thron mein Sohn gewann,
Von welchem nach dem Walten ew’ger Mächte
Die Reihe der Gesalbten dort begann.

     Bis der Provence Mitgift dem Geschlechte
Der Meinen nicht die heil’ge Scham entriß,
Galt’s wenig zwar, allein vermied das Schlechte.

     Seitdem verübt’ es Tat der Finsternis,
Log, raubt’ und stahl, worauf’s, aus Reu’ und Buße,
Die Normandie und Ponthieu an sich riß.

     Karl kam nach Welschland, und, aus Reu’ und Buße,
Köpft’ er den Konradin und sandte drauf
Den Thomas heim zu Gott, aus Reu’ und Buße.

     Bald bricht ein andrer Karl im vollen Lauf,
Denn besser sollt ihr seine Sitt’ erkennen
Und seines Stammes Art, aus Frankreich auf.

     Zur Rüstung wird er nicht sich Zeit vergönnen,
Und nur mit Judas Lanze, so, daß dir,
Florenz, der Wanst platzt, in die Schranken rennen.

     Nicht Land, nur Sünd’ und Schmach gewinnt er hier.
Und trägt er sie gar leicht und unbefangen,
So wird er einst noch mehr gedrückt von ihr.

     Ein andrer Karl, im Seegefecht gefangen,
Verschachert, wie die Sklavin der Korsar,
Die Tochter, um das Kaufgeld zu empfangen.

     Ach, was vermagst nicht du, o Geiz! Sogar
Sein eignes Fleisch beut, schmählich überwunden
Von deiner Macht, mein Blut zum Kaufe dar.

     Doch ist der Frevel schon in nichts verschwunden;
Ich seh’ Alagna, wo die Lilie weht!
Seh’ im Statthalter Christum selbst gebunden.

     Seh’ ihn drauf verspottet und geschmäht!
Seh’ ihn aufs neue Gall’ und Essig schmecken!
Seh’ ihn, der unter Räubern dann vergeht!

     Den grimmigen Pilatus seh’ ich schrecken
Und, noch nicht satt, ihn, ohne Kirchenschluß,
Die gier’ge Hand nach Kirchengütern strecken.

     Gott, was säumt dein Rächerarm? Was muß
So lang’ an mir gerechter Unmut nagen?
Die Frevler strafend, stille den Verdruß!--

     Du hörtest mich vorhin von jener sagen,
Die einzig ist des Heil’gen Geistes Braut,
Und dies beweg dich, nach dem Grund zu fragen.

     Von ihr erklingt das Flehen leis und laut
Beim Tageslicht, doch von den Gegensätzen
Tönt unsre Klage, wenn die Nacht ergraut.

     Dann denken wir Pygmalions mit Entsetzen,
Der ein Verwandtenmörder ward, ein Dieb
Und ein Verräter aus Begier nach Schätzen;

     Des Midas, der so lang im Elend blieb,
Das jedem, der ihn sah, weil’s ihn nicht freute,
Als er die Gier gestillt, zum Lachen trieb;

     Des tollen Achan auch, des Diebs der Beute,
Der, wie es scheint, noch hier nicht tragen kann
Des Josua Zorn, der ihm im Leben dräute.

     Sapphiren tadeln wir und ihren Mann
Und loben den, der hinwarf Heliodoren;
Den ganzen Berg umkreist mit Schande dann

     Polynestor, der totschlug Polydoren.
Zuletzt erklingt es: Crassus, sprich, wie schmeckt
Das Gold, das du zur Lieblingsspeis’ erkoren?

     Der redet laut, der leis und unentdeckt,
Je wie der Drang des Leids, das wir erproben,
Uns minder oder mehr erregt und weckt.

     Ich sprach vom Heil, das wir am Tage loben,
Hier nicht allein, nur daß zu lautem Klang,
Die mir hier nah sind, nicht die Stimm’ erhoben."

     Wir richteten nun vorwärts unsern Gang,
Nachdem wir diesen Schatten kaum verlassen,
So schleunig, als es nur der Kraft gelang.

     Da aber zitterten des Berges Massen,
Als stürz’ er hin, und Furcht erfaßte mich,
Wie sie den, der zum Tod geht, pflegt zu fassen.

     Nicht schüttelte so heftig Delos sich,
Eh, beide Himmelsaugen zu gebären,
Dorthin zum sichern Nest Laton’ entwich.

     Rings braust’ ein Ruf, um meine Furcht zu mehren,
Doch näher trat zu mir mein Meister da:
"Ich führe dichl--was magst du Sorgen nähren?"

     Und könnt’ ich aus den Stimmen, die mir nah
Erklangen, recht das ganze Lied verstehen,
Klang’s: Deo in excelsis gloria!

     Wir blieben staunend, gleich den Hirten, stehen,
Die diesen Sang zum erstenmal gehört,
Und ließen Erdenstoß und Lied vergehen.

     Doch dann, zum heil’gen Weg zurückgekehrt,
Sahn wir die Schatten, die am Boden lagen,
Schon wieder vom gewohnten Leid beschwert.

     Noch nie bekämpften sich mit solchen Plagen
In mir Unwissenheit und Wißbegier,
Mag ich auch forschend die Erinnrung fragen:

     Wonach ich grübelnd je gespäht?--wie hier.
Nicht fragen dürft’ ich, denn er ging von hinnen,
Und nichts erklären könnt’ ich selber mir;

     So ging ich schüchtern fort in tiefem Sinnen.



EINUNDZWANZIGSTER GESANG
 

    Der Durst, den die Natur gegeben hat,
Den nur das Wasser stillt, um dessen Gnade
Die Samariterin den Heiland bat,

      Verzehrte mich, und auf verengtem Pfade
Trieb Eile mich, dem Führer nachzuzieh’n,
Voll Gram, daß Schuld uns so mit Leid belade.

      Und sieh, wie Kunde Lukas uns verlieh’n,
Daß Christus zween, die unterweges waren,
Erstanden aus dem Grabgewölb’, erschien;

      So uns ein Schatten--hinter uns, die Scharen,
Dort ausgestreckt, betrachtend, ging er fort
Und ließ sich sprechend erst von uns gewahren.

      "Gott geb’ euch Frieden, Brüder!" war sein Wort,
Das plötzlich hin zu ihm uns beide kehrte;
Und ziemend dankt’ ihm mein getreuer Hort

      Und sprach: "Zu denen, so der Herr verklärte,
Versetz’ er dich, zu jenem sel’gen Chor,
Des Frieden er auf ewig mir verwehrte."

      Und jener sprach: "Wenn Gott euch nicht erkor,"
(Doch säumte nicht, indessen fortzugehen,)
"Wer leitet’ euch die heil’ge Stieg’ empor?"

      Virgil darauf: "Sieh hier die Zeichen stehen,
Die diesem eingeprägt vom Engel sind,
Und daß er auserwählt ist, wirst du sehen.

      Allein weil sie, die unablässig spinnt,--
Ihm noch nicht ganz den Rocken abgesponnen,
Den Klotho anlegt, wenn ein Sein beginnt,

      Hätt’ er, allein, die Höhe nie gewonnen,
Weil seine Seele, Schwester dir und mir,
Noch nicht nach unsrer Art zu sehn begonnen.

      Drum bin ich aus dem Höllenschlunde hier,
Und meine Schule wies und weist ihm alles,
Was sie gewähren kann der Wißbegier.

      Doch sprich, was schwankte so gewalt’gen Pralles
Vorhin der Berg? Was tönte bis zum Strand
Der allgemeine Ruf so lauten Schalles?"

      Mein teurer Meister, also fragend, fand
So meiner Sehnsucht Ohr, daß mein Begehren,
Mein Durst durch Hoffnung Lindrung schon empfand.

      Und jener sprach: "Den Berg, den heil’gen, hehren,
Nichts trifft ihn sonder Ordnung, was es sei,
Und ew’ge Regel herrscht in diesen Sphären.

      Stets ist er hier von jeder Störung frei;
Wenn einen Geist von ihm Gott aufgenommen,
Verkünden’s Erdenstoß und Jubelschrei.

      Wer jene kleine Stieg’ emporgeklommen
Von dreien Stufen, sieht nicht Reif noch Tau,
Nicht Hagel mehr, noch Schnee, noch Regen kommen.

      Kein Wölkchen trübt hier je des Himmels Blau,
Nie blinkt des Blitzes Schnell verschwundne Helle’
Nie baut sich Iris’ Brück’ auf dunkelm Grau.

      Kein trockner Dunst steigt über jene Stelle,
Von der ich sprach, auf der die Füße stehn
Des Pförtners von der diamantnen Schwelle.

      Von Stürmen, die im Erdenschoß entstehn,
Mag’s sein, daß unten oft der Berg erdröhne,
Hier--wie, begreif ich nicht--ist’s nie gescheh’n.

      Hier bebt er, wenn in neuer Rein’ und Schöne
Die Seele fühlt, sie woll’ erhoben sein.
Ihr Steigen fördern dann die Jubeltöne.

      Der Reinheit Prob’ ist dieser Will’ allein;
Frei, treibt er sie, zum Zuge sich zu rüsten,
Und er verleiht ihr sicheres Gedeih’n.

      Erst will sie zwar, doch fühlt’ auch, mit Gelüsten
Nach längrer Qual, daß nach Gerechtigkeit,
Die, so einst sündigten, erst leiden müßten.

      Ich lag fünfhundert Jahr’ in diesem Leid
Und länger noch und fühlte mir soeben.
Zum Aufwärtszieh’n den Willen erst befreit.

      Drum fühltest du den ganzen Berg erbeben,
Drum pries den Herrn die ganze fromme Schar,
In Hoffnung, bald sich selber zu erheben."

     Sprach’s, und je heißer die Begierde war,
Je mehr fühlt’ ich vom Tranke mich erquicken
Und fühlte mich gestärkt und frei und klar.

     Virgil drauf: "Welche Netz’ euch hier umstricken,
Wie ihr entschlüpft, was durch den Berg gezückt,
Was Jubeltön’ empor die Seelen schicken,

     Das hat dein Wort mir deutlich ausgedrückt.
Jetzt sage mir: Wer bist du einst gewesen?
Und was hat hier so lang dich schwer gedrückt?"

     Drauf jener: "Damals, als das höchste Wesen,
Das Blut zu rächen, das für schnödes Geld
Judas verkauft, den Titus auserlesen,

     Da lebt’ ich mit dem Namen, der bei Welt
Und Nachwelt gilt, geschmückt mit höchstem Preise,
Doch war noch nicht vom Glaubenslicht erhellt.

     So süß war des klangreichen Geistes Weise,
Daß Rom mich Tolosanen rief und hoch
Mich ehrte mit verdientem Myrtenreise.

     Mich, Statius, nennt man jenseits heute noch.
Von Theben hob’ ich, vom Achill gesungen,
Bis unterwegs ich sank dem zweiten Joch.

     Auch meine Glut ist an der Flamm’ entsprungen,
Der göttlichen, die Funken ausgesprüht
Und Tausende mit ihrem Licht durchdrungen.

     Sie, die Äneis, ist’s, die mich durchglüht,
Sie nur war Mutter, Amme mir im Dichten,
Und ohne sie war ich umsonst bemüht.

     O hätt’ ich mit Virgil gelebt! Mit nichten
Schien mir’s zu schwer, ein Jahr lang, noch im Bann,
Dafür auf die Befreiung zu verzichten."

     Bei diesen Worten sah Virgil mich an
Mit einem Blick, der schweigend sagte: Schweige!
Doch weil die Kraft, die will, nicht alles kann,

     Nicht hindern kann, daß sich die Seele zeige,
Und, wie durch sie die jähe Regung blitzt,
Trän’ oder Lächeln uns ins Antlitz steige,

     So blinkt’ ich lächelnd mit den Augen itzt,
Drum sah mir jener, dem dies nicht entgangen,
Ins Auge, wo das Bild der Seele sitzt.

     "So wie du mögst zum großen Ziel gelangen,"
Begann er drauf, mir zugewandt, "So sprich:
Was schwebt’ ein Lächeln jetzt um deine Wangen?"

     Nun zeigen hier und dorten Schlingen sich.
Der heißt mich schweigen, jener, offenbaren.
Ich seufze nur, doch man ergründet mich.

     "Du magst dir jetzt das längre Schweigen sparen,"
Begann Virgil, "sprich nur, denn er beweist
.Zu große Sehnsucht, alles zu erfahren."

     "Vielleicht wohl wundert’s dich, du alter Geist,"
Also begann ich jetzo, "daß ich lachte,
Doch will ich, daß du mehr verwundert seist.

     Er, der mich aufwärts führt, wohin ich trachte,
Es ist Virgil, der Quell, der deinen Sang
Von Helden und von Göttern strömen machte.

     Glaubst du, das andrer Grund des Lachens Drang
In mir erregt, magst du den Glauben lassen;
Es war dein Wort, das mich zum Lachen zwang."

     Da neigt’ er sich, die Knie ihm zu umfassen,
Zu meinem Hort, der sprach: "Laß, Bruder, laß!
Wir sind ja Schatten beid’ und nicht zu fassen."

     Und er stand auf und sprach: "Du wirst das Maß
Der Liebe, die mich an dich zieht begreifen,
Da ich der Körper Mangel ganz vergaß

     Und Schatten sucht’ als Festes zu ergreifen."



ZWEIUNDZWANZIGSTER GESANG
 

    Schon hinter uns geblieben war der Engel,
Der unsern Schritt zum sechsten Kreis gekehrt
Und mir getilgt ein Zeichen meiner Mängel.

     Sie, deren Wunsch Gerechtigkeit begehrt,
Sie riefen: "Heil dem Dürstenden!" und schwiegen,
Und ohne weitres war ihr Sinn erklärt.

     Ich, leichter als auf andern Felsenstiegen,
Ging aufwärts, den behenden Geistern nach,
Und sonder Mühe ward der Kreis erstiegen.

     "An Lieb’, entzündet von der Tugend," sprach
Mein Meister nun, "ist andre stets entglommen,
Wenn sichtbar nur hervor die Flamme brach.

     Darum, seit Juvenal hinabgekommen
Zum Höllenvorhof, und mit uns vereint,
Von dem ich, wie du mich geliebt, vernommen,

     War ich in Liebe dir so wohlgemeint,
Wie wir sie selten Niegesehnen weihen,
So, daß nun kurz mir diese Stiege scheint.

     Doch sprich und wolle mir als Freund verzeihen,
Löst mir zu große Sicherheit den Zaum,
Und wolle Kunde mir als Freund verleihen:

     Wie fand der Geiz doch--ich begreif es kaum--
Bei solcher Weisheit, wie dein eifrig Streben
Errungen hat, in deinem Busen Raum?"

     Hier sah ich Lächeln jenes Mund umschweben,
Dann sprach er: "Jedes Wort aus deinem Mund,
Zeugt’s nur von Liebe, muß mir Freude geben.

     Oft werden uns von außen Dinge kund,
Die falsche Zweifel in der Seel’ erregen,
Weil tief verborgen ist ihr wahrer Grund.

     Du scheinst--die Frage zeigt’s--den Wahn zu hegen,
Daß mich der Geiz auf Erden einst geplagt,
Vielleicht weil ich in diesem Kreis gelegen.

     Jetzt wisse, daß ich ihm zu sehr entsagt,
Und dieses Unmaß hab’ ich hier in Schlingen
So viele tausend Monden lang beklagt.

     Dort unten müßt’ ich, Steine wälzend, ringen,
Hätt’ ich dein zürnend Warnen nicht gehört:
Zu was kannst du die Menschenbrust nicht zwingen.

     Verfluchter Durst nach Gold, der uns betört!--
Die ernste Mahnung hört’ ich dich verkünden
Und ward aus eitlen Träumen aufgestört.

     Daß nur zu offen meine Hände stünden,
Dies ward mir nun in meinem Geiste klar,
Mit Reu’ ob dieser und der andern Sünden.

     Wieviel’ erstehn einst mit verschnittnem Haar,
Weil bis zum Tod sie nicht erkannt, daß Sühne
Durch Reu’ auch diesem Fehler nötig war.

     Wisse, die Schuld, die auf des Lebens Bühne
Sich einer andern g’rad’ entgegensetzt,
Verliert zugleich mit ihr hier ihre Grüne.

     Drum sahst du mich bei jenen Scharen jetzt
Der Reuigen, die einst der Geiz bezwungen;
Drum hat das Gegenteil mich herversetzt."

     "Zur Zeit, da du der Waffen Graus gesungen.
Die Jokasten Gram zu Gram gefügt,"
Sprach jener, dem das Hirtenlied gelungen,

     "War, wenn, was Klio aus dir singt, nicht trügt,
Nicht durch den Glauben noch dein Herz gelichtet,
Bei dessen Mangel keine Tugend g’nügt.

     Nun, welche Sonne hat die Nacht vernichtet,
Welch irdisch Licht, daß du an deinem Kahn
Die Segel dann, dem Fischer nach, gerichtet?"

     Und er: "Du zeigtest mir zuerst die Bahn
Zu dem Parnaß und seinen süßen Quellen
Und warst mein erstes Licht, um Gott zu nah’n.

     Dem, der bei Nacht geht, warst du gleichzustellen,
Dem seine Leuchte selbst kein Licht verleiht,
Um hinter ihm die Straße zu erhellen,

     Indem du sprachst: Erneuert wird die Zeit,
Ich seh’ ein neu Geschlecht vom Himmel steigen
Und Ordnung herrschen und Gerechtigkeit.

     Durch dich ward mir der Ruhm des Dichters eigen,
Durch dich ward ich den Christen beigesellt;
Wie? Soll sich dir in klarem Bilde zeigen.

     Vom wahren Glauben schwanger war die Welt
Schon überall; es streuten diesen Samen
Die Boten ew’gen Reichs ins weite Feld.

     Mit deinem oft berührten Worte kamen
Die neuen Pred’ger sämtlich überein,
Drum folgt’ ich denen, die ihr Wort vernahmen.

     Sie schienen mir so heilig und so rein--
Und als sie Domitian verfolgte, machten
Mich weinen ihre Klag’ und ihre Pein.

     Und ihnen beizustehn war all mein Trachten,
Da mir so redlich ihre Sitt’ erschien;
All andre Sekten mußt’ ich drum verachten.

     Eh’ dichtend, ich an Thebens Flüsse zieh’n
Die Griechen ließ, hatt’ ich die Tauf empfangen,
Obwohl ich äußerlich als Heid’ erschien,

     Und ein versteckter Christ verblieb aus Bangen;
Und ob der Lauheit hab’ ich mehr als vier
Jahrhunderte den vierten Kreis umgangen.

     Sprich jetzo du, der du den Schleier mit
Gehoben hast vom Heile, das ich preise,
Denn Zeit genug beim Steigen haben wir:

     Wo Freund Terenz, wo Varro ist, der Weise,
Cäcilius, Plautus?--sprich, ich bitte sehr,
Ob sie verdammt sind und in welchem Kreise?"

     "Sie, ich und mancher sonst," erwidert’ er,
"Wir sind beim Griechen, jenem blinden Alten,
Den Musenmilch getränkt, wie keinen mehr,

     Im ersten Kreis der blinden Haft enthalten;
Oft sprachen wir von jenem Berge schon,
Wo unsre süßen Nährerinnen walten.

     Dort ist Euripides, Anakreon
Mit vielen Griechen, die der Lorbeer krönte,
Mit dem Simonides und Agathon.

     Auch sie, von welchen einst dein Lied ertönte,
Antigone, Ismene, so gebeugt,
Wie einst, da sie um den Verlobten stöhnte.

     Auch jene, die das Kind, das sie gesäugt,
Rückkehrend von Langia, tot gefunden,
Und Daphne, von Tiresias erzeugt."

     Die Dichter schwiegen beide jetzt und stunden,
Vom Steigen frei und von der Felsenwand,
Und sah’n umher, das Weitre zu erkunden.

     Die fünfte Dienerin des Tages stand
Am Wagen schon, um seinen Lauf zu leiten,
Der Deichsel Flammenspitz’ emporgewandt.

     "Wir kehren, denk’ ich, unsre rechten Seiten",
Begann mein Herr, "zum freien Rande hin,
Um, wie wir pflegen, um den Berg zu schreiten."

     So ward Gewohnheit unsre Führerin;
Auch Statius winkte Beifall dem Genossen,
Drum gingen wir mit sorgenfreiem Sinn,

     Sie mir voraus, ich einsam, unverdrossen,
Ging hinterdrein, den Reden horchend, fort,
Die meinem Geist der Dichtung Tief’ erschlossen.

     Doch machte bald der Dichter süßes Wort
Ein Baum mit würzig duft’gen Äpfeln schweigen.’
Inmitten unsers Weges stand er dort;

     Und wie die Tann’ aufwärts, von Zweig zu Zweigen
Sich enger abstuft, so von Sproß zu Sproß
Er niederwärts, erschwerend das Ersteigen.

     Auf jener Seite, wo der Weg sich schloß,
Fiel klares Naß vom hohen Felsensaume,
Das auf die Blätter sprühend sich ergoß.

     Da nahte sich das Dichterpaar dem Baume,
Aus dessen Zweigen eine Stimm’ erscholl:
"Die Speise hier wird teuer eurem Gaume."

     "Der Hochzeit nur, um ganz und ehrenvoll
Sie auszurichten, galt Marias Sinnen,
Nicht ihrem Mund, der für euch sprechen soll.

     Nur Wasser tranken einst die Römerinnen;
Nicht Königskost hat Daniel gewollt,
Um reichen Schatz der Weisheit zu gewinnen.

     Die Urzeit war so schön wie lautres Gold,
Als Eichen noch dem Hunger leckre Speisen
Und Nektar jeder Bach dem Durst gezollt.

     Heuschrecken hat und Honig einst zu speisen
Der Täufer in der Wüste nicht verschmäht,
Und hoch und herrlich ist er drob zu preisen,

     Wie’s offenbart im Evangelium steht."



DREIUNDZWANZIGSTER GESANG
 

    Indes ins Laubwerk meine Blicke drangen,
So scharf und spähend, wie sie einer spannt,
Der seine Zeit verliert mit Vogelfangen,

     Rief er, der mehr als Vatersorg’ empfand:
"Sohn, komm. Die Zeit, die uns verlieh’n zum Reisen,
Sei eingeteilt und nützlicher verwandt."

     Schnell wandt’ ich Blick und Schritt zu beiden Weisen,
Die also sprachen, daß zum leichten Gang
Die Mühe ward, den Felsen zu umkreisen.

     Sieh, da erklangen Klagen und Gesang:
"Herr, meine Lippen," klang’s mit einem Stöhnen,
Das mich zugleich mit Lust und Leid durchdrang.

     "Mein süßer Vater, welche Stimmen tönen?"
Ich rief’s, und er drauf: "Schatten sind’s, die nun
Für einst versäumte Pflicht den Herrn versöhnen."

     Wie unterweges eil’ge Wandrer tun,
Die Leut’ einholen, welche sie nicht kennen,
Und sich zwar umsehn, doch nicht stehn und ruh’n;

     So kam jetzt hinter uns in schnellerm Rennen
Ein frommer Haufe, lief vorbei und schaut’
Uns staunend an, um schweigend fortzurennen.

     Die Augen tief und hohl und nachtumgraut,
Erschienen sie, die Hagern, die Erblaßten,
Die Knochen alle sichtbar durch die Haut.

     So mager, glaub’ ich, war nach langem Fasten,
So ausgetrocknet nicht Erisichthon,
Als nun sein eignes Fleisch die Zähn’ erfaßten.

     Sie gleichen jenen, dacht’ ich, da sie floh’n,
Die einst Jerusalem verloren haben,
Wo selbst die Mutter fraß den eignen Sohn.

     Tief war das Aug’ in seinem Rund vergraben,
Das einem Ringe sonder Gemme glich,
Und Nas’ und rings die Knochen scharf erhaben.

     Daß eines Apfels Duft so jämmerlich
Zurichten könn’ und Duft von einer Quelle,
Begier erzeugend, wer wohl dächt’ es sich?

     Schon staunt’ ich, wie der Hunger sie entstelle,
Indem ich noch die Ursach’ nicht verstund,
Von ihrem magern Leib und traur’gem Felle.

     Da sah ich, wie aus seines Hauptes Grund
Ein Geist auf mich die Augen forschend richte,
Der ausrief: Welche Gnade wird mir kund?

     Nie hätt’ ich ihn erkannt am Angesichte,
Doch durch die Stimme ward mir offenbart,
Wie Hunger Ansehn und Gestalt vernichte.

     Und dieser Funke machte völlig klar
Mir die Erinnrung, daß ich sein gedachte,
Und sah, daß dies Foreses Antlitz war.

     Und er begann nun flehend: "Ach, verachte
Die dürre Haut nicht, noch mein blaß Gesicht,
Ob auch die Schuld um alles Fleisch mich brachte.

     Gib wahrhaft mir von deinem Los Bericht,
Und von den zwei’n, die bei dir sind--ich flehe!--
Verweigre mir erwünschte Kunde nicht."

     "Dein Angesicht, bei dem mit tiefem Wehe,"
Begann ich, "als ich’s tot sah, ich geklagt,
Betrübt mich mehr, da ich’s so hager sehe.

     Drum sprich, bei Gott, was so dein Laub zernagt.
Nicht wolle, daß ich, weil ich staun’, erzähle,
Denn übel spricht, wen selbst die Neugier plagt."--

     "Vom ew’gen Rat", so sprach Foreses Seele,
"Sinkt eine Kraft, die Bach und Baum durchdringt,
Durch die ich hier mich abgemagert quäle.

     Sie ist’s, die jeden, der hier weinend singt,
Zur Heiligkeit vom wüsten Schwelgerleben
Durch Hunger und durch Durst zurückebringt.

     Der Duft, den jene Früchte von sich geben,
Der Quell auch, der sie netzt, entflammt der Brust
Nach Speis und Trank ein nie gestilltes Streben.

     Sooft im Kreis wir dorthin zieh’n gemußt,
Wird immer diese Pein in uns erneuert.
Ich sage Pein und sollte sagen: Lust,

     Weil nach dem Baum uns jener Drang befeuert,
Der Christum froh dahin zum Kreuz gebracht,
Wo unsrer Schmach sein teures Blut gesteuert."

     Drauf ich: "Forese, seit du jene Nacht
Vertauscht mit diesem bessern Leben, zählte
Man nur fünf Jahr’, die kaum den Lauf vollbracht.

     Wenn dir die Kraft zu sünd’gen eher fehlte,
Als du durchdrungen warst von gutem Leid,
Das stets die Seele neu mit Gott vermählte,

     Wie stiegst du in so kurzer Frist so weit?
Dort unten dich zu finden mußt’ ich meinen,
Wo man verlorne Zeit ersetzt durch Zeit."

     Und er: "Zum süßen Wermutstrank der Peinen
Hat mich befördert meiner Nella Fleiß
In frommem Fleh’n und ihr unendlich Weinen.

     Denn ihr Gebet, ihr Stöhnen fromm und heiß,
Hat mich der Küste, wo man harrt, entzogen
Und mich befreit aus jedem andern Kreis.

     Ihr. die ich so geliebt, ist Gott gewogen,
Weil sie, der nur der Tugend Reiz gefällt,
Sich ganz vom Pfad der andern abgezogen.

     Der Sarden rohes Bergesland enthält
Mehr Scham und Sitte noch in feinen Frauen
Als das, wo ich sie ließ in jener Welt.

     O süßer Bruder, soll ich dir’s vertrauen?
Ich glaube schon die Zukunft, der das Heut
Nicht alt erscheinen wird, vor mir zu schauen,

     Wo man den frechen Frau’n, die ungescheut
Den Busen mit den Brüsten offenbaren,
Dies von der Kanzel in Florenz verbeut.

     Wann mußten Frau’n von Türken und Barbaren,
Um mit bedeckter Brust einherzugehn,
Von Staat und Kirche Rügen erst erfahren?

     Doch könnten nur die Unverschämten sehn,
Was ihnen schon der Himmel vorbereitet,
Sie wurden heulend, offnen Mundes, stehn.

     Sie jammern, wenn kein Wahn mich hier verleitet,
Eh’ auf des Wange, der jetzt eingelullt
Von Eipopeia wird, sich Flaum verbreitet.

     Jetzt sprich von dir und zahle mir die Schuld.
Sieh alle, die dorthin die Augen lenken,
Wo du die Sonne deckst, voll Ungeduld."

     Und ich versetzt’ ihm: "Willst du des gedenken,
Was du mit mir einst warst, und ich mit dir,
So wird noch jetzt dich die Erinnrung kränken.

     Vor kurzem hat von dort er, der vor mir
Als Führer geht, mich mit sich fortgenommen,
Als rund euch schien der Bruder dieser hier."

     --Die Sonne zeigt’ ich--"Mir zum Heil und Frommen
Bin ich durch wahren Todes tiefe Nacht
Mit ihm in diesem wahren Fleisch gekommen.

     Er hat im Kreislauf mich emporgebracht
Zu diesem Berg, wo die sich g’rad’ erheben,
Die einst das Erdenleben krumm gemacht.

     Er wird mir sein Geleit so lange geben,
Bis ich gelangt zu Beatricen bin;
Ohn’ ihn dann muß ich weiter aufwärts streben.

     Es ist Virgil"--hier zeigt’ ich nach ihm hin--
"Sieh auch den andern und erkenne diesen
Als den, ob des der Berg gebebt vorhin,

     Da euer Reich ihn von sich weggewiesen."



VIERUNDZWANZIGSTER GESANG
 

    Nicht hemmt’ uns Gehn im Reden, Red’ im Gehn;
Der Lauf ging beim Gespräch so rasch vonstatten,
Wie eines Schiffs bei guten Windes Weh’n.

     Und die, wie’s schien, zweimal gestorbnen Schatten,
Sie sogen Staunen durch die Augen ein,
Da sie bemerkt mein irdisch Leben hatten.

     "Wohl eil’ger", sprach ich weiter, "würd’ er sein,
Zum Platz zu zieh’n, der dort ihm angewiesen,
War’ er nicht aufgehalten von uns zwei’n.

     Doch sprich, wo ist Piccarda? Wer von diesen,
Von welchen jeder Blick jetzt auf mir ruht,
Ward durch den Ruf im Leben einst gepriesen?"

     "Sie, meine Schwester, einst so schön als gut,
Trägt dort, wo wir das ew’ge Licht erkennen,
Die Krone des Triumphs mit heiterm Mut."

     Sprach’s, und darauf: "Hier darf man alle nennen,
Denn, vom heilsamen Fasten abgezehrt,
Würd’ einer sonst den andern nimmer kennen.

     Sieh dort"--er sprach’s, den Finger hingekehrt--
"Den Buonagiunta; sieh dort den Erblaßten,
Vom Hunger mehr als jeden sonst, verheert,

     Des Arme dort die heil’ge Kirch’ umfaßten.
Er war von Tours und büßt hier manchen Schmaus
Von weinersäuften Aal mit schwerem Fasten."

     Noch wählt’ er manchen von der Schar heraus
Und nannt’ ihn mir, was jeden sehr erfreute,
Und keiner sah drum trüb und finster aus.

     Ich Sah den Bonifaz, der viel Leute
Mit Pfründenfett geatzt; den Ubaldin,
Der an den Zähnen selbst vor Hunger käute;

     Sah den Marchese, den, trotz allem Zieh’n
Aus seinem Krug, der Durst nur ärger brannte,
Und dem der Mund beständig trocken schien.

     Doch wie, wer viel sah, eins nur wählt. So wandte
Ich mein Gesicht nun zu dem Buonagiunt,
Der, wie es schien, mich dort am besten kannte.

     Er murmelt’ in sich, und von seinem Mund,
An dem sich hier der Schlemmer Sünden rächen,
Ward etwas wie das Wort Gentucca kund.

     Ich sprach: "Der du das Schweigen abzubrechen
So lüstern scheinst, sprich so, daß man’s versteht,
Und dich und mich befriedige dein Sprechen."

     Drauf er: "Ein Weib, das noch entschleiert geht,
Gibt dir dereinst an meiner Stadt Behagen,
So sehr man diese Stadt auch immer schmäht.

     Du wirst dorthin die Rede mit dir tragen,
Und trog mein Murmeln dich, in kurzer Zeit
Wird dir die Wirklichkeit er klarer sagen.

     Doch sprich, erblick’ ich den in meinem Leid,
Der jene neuen Weisen fand, beginnend:
Ihr Frau’n, die ihr der Liebe kundig seid."

     Drauf ich: "Dem Hauch der Liebe lausch’ ich sinnend;
Was sie mir immer vorspricht, nehm’ ich wahr
Und schreib’ es nach, nichts aus mir selbst ersinnend."

     "Die Schlinge, Bruder," sprach er, "seh’ ich klar,
Die von dem neuen süßen Stil gehalten
Mich diesseits hat, Guitton’ und den Notar.

     Ich seh’, ihr lasset nur die Liebe walten,
Und eure Feder folgt, wie sie gebeut,
Wir aber ließen sie nicht also schalten.

     Wer, Beifall suchend, keck sie überbeut,
Gibt Schwulst, statt des, was euch Natur verliehen."
Er schwieg und schien befriedigt und erfreut.

     Wie Vögel, die zum Nil im Winter ziehen,
Sich oft versammeln in gedrängtem Hauf
Und schneller dann in Streifen weiterfliehen;

     So machten alle dort sich wieder auf,
Die, abgewandt, sich eilig fort begaben,
Durch Magerkeit und Willen leicht zum Lauf.

     Und gleich wie einer, atemlos vom Traben,
Die andern läßt, um ganz gemach zu gehn,
Bis ausgeschnauft die heißen Laugen haben,

     So war es mit Forese jetzt gescheh’n;
Er, hinter mir, ließ zieh’n die heil’ge Herde
Und sprach: "Wann werd’ ich wohl dich wiedersehn?"

     "Nicht weiß ich es. Doch glaub’ ich, daß der Erde",
Versetzt’ ich, "nicht so schnell mein Geist entfleugt,
Als ich nach diesem Strand mich sehnen werde.

     Denn seh’ ich dort den Ort, der mich erzeugt,
Tagtäglich mehr vom Guten sich entblößen
Und jämmerlich bereits zum Sturz gebeugt!"

     Und er: "Jetzt geh, den Stifter alles Bösen
Seh’ ich am Schweif des Pferds geschleppt zum Ort,
Von welchem Reu’ und Tränen nie erlösen.

     Stets schneller geht der Lauf des Tieres fort,
Und endlich läßt’s den Leib des Jammervollen
Zerstampft, entstellt, ein widrig Scheusal, dort.

     Nicht lange werden diese Kreise rollen"
--Zum Himmel blickt er auf--"und klar wird dir,
Was dämmernd nur mein Wort dir zeigen sollen.

     Du bleibe jetzt; die Zeit ist teuer hier,
Und daß ich gleichen Schritts mit dir gegangen,
Dies kostet mich bereits zuviel von ihr."

     Wie einer, wenn die Reiter vorwärts drangen,
Hervorsprengt aus der Reih’, in der er ritt,
Den Ruhm des ersten Angriffs zu erlangen,

     So trennt’ er sich von uns mit größerm Schritt,
Indes ich hinter ihm mit meinem Horte
Und mit dem andern Meister weiterschritt.

     Schon war er vor uns an so fernem Orte,
Daß ihm mein Blick dahin durch weiten Raum,
Wie die Erinnrung folgte seinem Worte;

     Als wir voll Obstes einen andern Baum
Mit üppigem Gezweig nicht fern entdeckten,
Da wir uns bogen um des Kreises Saum.

     Und Leute, die hinauf die Hände streckten,
Schrien auf zum Laub, das in die Lüfte steigt,
Den Kindlein gleich, den gierigen, geneckten,

     Die bitten, während der Gebetne schweigt,
Und, um zu schärfen die Begier, ihr Sehnen
Hoch hinhält und es frei und offen zeigt.

     Dann gingen sie, geheilt vom eitlen Wähnen;
Wir aber schritten zu dem Baum heran,
Der alle Bitten abweist, alle Tränen.

     "Vorüber schreitet, denn ihr dürft nicht nah’n!
Der Baum, der Even reizt’, ist weiter oben.
Von ihm hat dieser seinen Keim empfah’n."

     So sprach, ich weiß nicht wer, vom Baume droben,
Weshalb Virgil mit Statius, engverschränkt,
Und mir hinging, wo sich die Felsen hoben.

     "An die verfluchten Wolkensöhne denkt,"
Sprach’s, "die dem Theseus mit den Doppelbrüsten
Im Kampf getrotzt, von zuviel Wein getränkt.

     An die Hebräer denkt und ihr Gelüsten,
Und denkt, weshalb verschmäht hat Gideon,
Mit ihnen gegen Midian sich zu rüsten."

     So gingen wir, dem Felsen nah, davon,
Und hörten aus des Laubs geheimer Regung
Des Gaumens Schuld und ihren schlechten Lohn.

     Dann aber ging’s mit freierer Bewegung
Auf breitem Pfad an laufend Schritte fort,
Und jeder schwieg in sinniger Erwägung.

     "Was geht ihr drei so ernst erwägend dort?"
Rief’s plötzlich nun, ich aber fuhr zusammen,
Gleich einem scheuen Roß, bei diesem Wort.

     Mein Haupt kehrt’ ich dorthin, woher zu stammen
Die Rede schien, und sah in rotem Schein
Glas und Metall nie so im Ofen flammen,

     Wie einen hier, der sprach: "Hier geht ihr ein,
Wollt ihr empor zur freien Höhe kommen,
Und im Genuß des ew’gen Friedens sein."

     Mir hatte das Gesicht sein Glanz benommen,
Drum wandt’ ich mich zu meinen Führern hin,
Wie wer dem folgt, was er durchs Ohr vernommen.

     Und wie des Morgenrots Verkünderin,
Die, Düfte raubend, in den Blüten wühlte,
Die Mailuft, weht, die süße Schmeichlerin,

     So fühlt’ ich an der Stirn ein Weh’n, so fühlte
Ich ein Gefieder, sanft bewegt, das mir
Das Antlitz mit Ambrosiadüften kühlte.

     Und dann erklang dies Wort: "O selig ihr,
Die ihr die Gnad’ empfingt, daß unverdüstert
Des Geistes Licht euch bleibt von der Begier,

     Indem euch nur, wie’s ziemt, nach Speise lüstert."



FÜNFUNDZWANZIGSTER GESANG
 

    Die Stund’ erheischte rasches Steigen schon,
Nachdem die Sonne hier den Mittagsbogen
Dem Stier geräumt, dort Nacht dem Skorpion.

     Drum, wie ein Mann, der, von nichts angezogen,
Was sich auch zeige, seines Weges zieht
Vom Drang der Not zu größter Eil’ bewogen,

     So drangen wir ins höhere Gebiet
Durch eine Stiege, die uns so beschränkte,
Daß uns die Enge voneinander schied.

     Und wie ein Störchlein, das die Flügel schwenkte,
Aus Luft zum Flug, dann aber, sonder Mut,
Vom Neste fortzuzieh’n, sie wieder senkte,

     So ich, bald lodernd, bald verlöscht die Glut
Der Fragelust, das Antlitz also zeigend,
Wie der, der sich zum Sprechen anschickt, tut.

     Da sprach mein Herr, obwohl voll Eifer steigend:
"Laß nicht der Rede Pfeil unabgeschnellt,
Die Sehne nur bis hin zum Drücker beugend."

     Worauf ich, sicher durch dies Wort gestellt,
Den Mund erschloß: "Wie wird man hier so mager,
Hier, wo kein Leib ist, welchen Speis erhält?"

     Drauf er: "Gedächtest du an Meleager,
Der eben, wie verzehrt ein Holzbrand ward,
Sich abgezehrt, du wärst kein solcher Frager.

     Und dächtest du, wie gleich an Mien’ und Art
Sich euer Antlitz regt in Spiegelbildern,
Dann schiene lind und weich dir, was jetzt hart.

     Allein um alles dir nach Wunsch zu schildern,
Sieh hier den Statius, welcher dir verspricht,
Weil ich ihn bitte, deinen Durst zu mildern."

     "Entwickl’ ich ihm das göttliche Gericht,"
Sprach Statius drauf, "hier, wo du gegenwärtig,
So sei’s verzieh’n--du willst, drum weigr’ ich nicht."

     Und dann: "Jetzt sei dein Geist bereit und fertig
Für meine Rede, Sohn--dann sei des Wie?
Das du erfragst, in vollem Licht gewärtig.

     Das reinste Blut, das von den Adern nie
Getrunken wird, vergleichbar einer Speise,
Die über den Bedarf Natur verlieh,

     Empfängt im Herzen wunderbarerweise
Die Bildungskraft für menschliche Gestalt,
Geht dann mit dieser durch der Adern Kreise,

     Noch mehr verkocht, zu einem Aufenthalt,
Den man nicht nennt, von wo’s zu anderm Blute
In ein natürlich Becken überwallt.

     Daß beides zum Gebild zusammenflute,
Ist leidend dies, und tätig das, vom Ort,
In dem die hohe Bildungskraft beruhte.

     Drin angelangt, beginnt’s sein Wirken dort;
Geronnen erst, erzeugt es junges Leben
Und schreitet in des Stoffs Verdichtung fort.

     Die Seel entsteht aus tät’ger Kräfte Streben,
Wie die der Pflanze, die schon stillesteht,
Wenn jene kaum beginnt, sich zu erheben.

     Bewegung zeigt sich dann, Gefühl entsteht,
Wie in dem Schwamm des Meers, und zu entfalten
Beginnt die tät’ge Kraft, was sie gesät.

     Nun beugt, nun dehnt die Frucht sich aus, beim Walten
Der Kraft des Zeugenden, die, nie verwirrt
Von fremdem Trieb, nur ist, um zu gestalten.

     Doch, Sohn, wie nun das Tier zum Menschen wird,
Noch siehst du’s nicht, und dies ist eine Lehre,
Worin ein Weiserer als du geirrt.

     Er war der Meinung, von der Seele wäre
Gesondert die Vernunft, weil kein Organ
Die Äußerung der letztern uns erkläre.

     Jetzt sei dein Herz der Wahrheit aufgetan,
Damit dein Geist, was folgen wird, bemerke!
Wenn Bildung das Gehirn der Frucht empfah’n,

     Kehrt, froh ob der Natur kunstvollem Werke,
Zu ihr der Schöpfer sich und haucht den Geist,
Den neuen Geist ihr ein, von solcher Stärke,

     Daß er, was tätig dort ist, an sich reißt,
Und mit ihm sich vereint zu einer Seele,
Die lebt und fühlt und in sich wogt und kreist.

     Und, daß dir’s nicht an hellerm Lichte fehle,
So denke nur, wie sich zum edlen Wein
Die Sonnenglut dem Rebensaft vermalte.

     Gebricht es dann der Lachesis an Lein,
Dann trägt sie mit sich aus des Leibes Hülle
Des Menschlichen und Göttlichen Verein;

     Die andern Kräfte sämtlich stumm und stille,
Doch schärfer als vorher in Macht und Tat,
Erinnerung, Verstandeskraft und Wille.

     Und ohne Säumen fällt sie am Gestad,
An dem, an jenem, wunderbarlich nieder,
Und hier erkennt sie erst den weitern Pfad.

     Kaum ist sie nun auf sicherm Orte wieder,
Da strahlt die Bildungskraft rings um sie her,
So hell wie einst beim Leben ihrer Glieder.

     Und wie die Luft, vom Regen feucht und Schwer.
Sich glänzend schmückt mit buntem Farbenbogen
Im Widerglanz vom Sonnenfeuermeer;

     So jetzt die Lüfte, so die Seel’ umwogen,
Worein die Bildungskraft ein Bildnis prägt,
Sobald die Seel’ an jenen Strand gezogen.

     Und gleich der Flamme, die sich nachbewegt,
Wo irgendhin des Feuers Pfade gehen,
So folgt die Form, wohin der Geist sie trägt.

     Sieh daher die Erscheinung dann entstehen,
Die Schatten heißt; so bildet sich in ihr
Jedwed Gefühl, das Hören und das Sehen.

     Und daher sprechen, daher lachen wir,
Und daher weinen wir die bittern Zähren
Und seufzen laut auf unserm Berge hier.

     Der Schatten bildet sich, je wie Begehren
Und Leidenschaft uns reizt und Lust und Gram.
Dies mag dir, was du angestaunt, erklären."

     Und schon als ich zur letzten Marter kam,
Indem wir, rechts gewandt, die Schlucht verließen,
Ward ich auf das, was dort war, aufmerksam.

     Den Felsen sah ich Flammen vorwärts schießen,
Der Vorsprung aber haucht’ empor zur Wand
Windstöße, die zurück die Flammen stießen.

     Wir mußten einzeln gehn am freien Rand,
Und ängstlich hört’ ich hier die Flamme schwirren,
Indes sich dort ein tiefer Abgrund fand.

     Mein Führer sprach: "Hier laß dich nichts verwirren
Und halte straff der schnellen Augen Zaum,
Denn leicht ist’s hier, mit einem Tritt zu irren."

     Gott höchster Gnade! hört’ ich’s aus dem Raum,
Den jene große Glut erfüllte, singen
Und hielt den Blick an meinem Wege kaum.

     Ich sah dort Geister, die durchs Feuer gingen,
Und sah auf meinen bald, bald ihren Gang
Und ließ den Blick von hier nach dorten springen.

     Ich weiß von keinem Mann--dies Wort erklang
Mit lautem Ruf, als jenes Lied verklungen,
Und neu begannen sie’s mit leisem Sang,

     Und riefen wieder, als sie’s ausgesungen:
"Diana blieb im Hain und jagt’ ergrimmt
Kalisto fort, die Venus’ Gift durchdrungen."

     Dann ward die Hymne wieder angestimmt,
Dann riefen sie von keuschen Frau’n und Gatten,
Die lebten, wie’s zu Eh’ und Tugend stimmt.

     Und dies nur tun sie, ohne zu ermatten,
Wie’s scheint, solang die Flamme sie umfließt,
Bis solche Pfleg’ und Arzenei den Schatten

     Zuletzt die Wund’ auf ewig wieder schließt.



SECHSUNDZWANZIGSTER GESANG
 

    Indem wir, einer so dem andern nach,
Am Rand hingingen, sprach mein treu Geleite:
"Gib acht und nütze, was ich warnend sprach."

     Die Sonne schlug auf meine rechte Seite
Und übergoß, ein blendend Strahlenmeer,
Mit lichtem Weiß des Westens blaue Weite.

     In meinem Schatten schien die Glut noch mehr
Hochrot zu glüh’n, drum sah’n bei solchem Zeichen
Der Schatten viel im Gehen nach mir her.

     Und dieses schien zum Anlaß zu gereichen,
Daß über mich sich ein Gespräch erhob:
" Der scheinet einem Scheinleib nicht zu gleichen."

     Soviel sie konnten, richteten sie drob
Sich zu mir hin, doch immer wohl beachtend,
Daß nie ihr Fuß der Flamme sich enthob.

     "Du, der du wohl, sie ehrerbietig achtend,
Und nicht aus Trägheit nachgehst diesen zwei’n,
Oh, sieh mich hier in Durst und Feuer schmachtend

     Und sprich, uns allen Labung zu verleih’n;
Denn wie wir jetzt nach deinem Wort verlangen,
Kann durst’ger nach dem Quell kein Libyer sein.

     Wie machst du’s doch, die Strahlen aufzufangen,
Gleich einer Wand, als wärest du dem Tod
Bis jetzt noch nicht, wie wir, ins Netz gegangen."

     So rief der ein’ in seiner Flammennot,
Und eben wollt’ ich alles ihm verkünden,
Als meinem Blick sich etwas Neues bot.

     Denn auf dem Weg, den Flammen rings entzünden,
Entgegen jenen, kam ein zweiter Hauf,
Drum späht ich hin, das Weitre zu ergründen.

     Und die und jene machten schnell sich auf
Und küßten sich mit kurzer Lust und waren
Zufrieden schon und floh’n im vollen Lauf.

     So sieht man im Gewühl der braunen Scharen
Sich Äms und Ämse mit den Rüsseln nah’n,
Vielleicht: Wie’s geht? Wes Weges? zu erfahren,

     Sobald der Gruß der Freundschaft abgetan,
Hob, eh’ sie weiterzog, nach kurzer Weile
Die Schar wetteifernd laut zu schreien an.

     "Sodom! Gomorra!" klang’s von diesem Teile;
Von dort: "Pasiphae kroch in die Kuh,
Und also lockt’ an sich den Stier die Geile."

     Wie Kranichscharen teils nach kurzer Ruh’
Gen Libyen fliegen, scheu vor Frost und Eise,
Teils scheu vor Hitze den Riphäen zu,

     So zieh’n die hier-, die dortenhin im Kreise
Und singen dann ihr Lied mit Reu’ und Gram
Und schrei’n von ihrer Schuld nach alter Weise.

     Doch jener, der vorhin mir näher kam
Und bat, blieb wieder mit den andern stehen,
Dem Ansehn nach herhorchend, aufmerksam.

     Ich, der ich zweimal ihren Wunsch ersehen,
Begann: "O ihr, die Hoffnung aufrechthält,
Sei’s, wann es sei, zum Frieden einzugehen,

     Nicht reif noch unreif ließ ich auf der Welt
Den Leib zurück und hob’ auf diesen Wegen
Mit Fleisch und Bein und Blut mich eingestellt.

     Ich stieg empor, die Blindheit abzulegen,
Und geh’--ein Himmelsweib erfleht’ es mir--
Mit dem, was sterblich ist, dem Licht entgegen.

     Doch wie sich euch erfüllen mag, was ihr
So heiß ersehnt: zum Himmel euch zu Schwingen,
Dem lieberfüllten räumigen Revier;

     So sprecht, ich will’s zu aller Kunde bringen:
Wer seid dort ihr, um die die Flamme schwirrt,
Und wer sind die, die euch entgegengingen?"

     So stutzt, erstaunt, verblüfft, der Bergeshirt,
Dem beim Umherschau’n selbst die Worte fehlen,
Wenn, roh und wild, er sich zur Stadt verirrt,

     Wie sie--ihr Ansehn könnt’ es nicht verhehlen--
Allein sobald ihr trübes Staunen schwand,
Das bald sich abklärt in erhabnen Seelen,

     "Heil dir, des Fuß den Weg in unser Land,"
Sprach er, den ich aus früh’rer Frage kannte,
"Des Geist zur Besserung Erfahrung fand!

     Vernimm, daß jene Schar im Trieb entbrannte,
Ob des man Cäsarn, so, daß er’s gehört,
Einst beim Triumphe Königin benannte,

     Drum schrien sie: Sodom!--was sie einst betört,
Voll Reue tadelnd, wie du jetzt vernommen;
So wird der Brand durch Scham noch aufgestört.

     Im Zwittertriebe waren wir entglommen,
Doch weil wir menschliches Gesetz verlacht,
Von tierischen Gelüsten eingenommen.

     Drum rufen wir, auf eigne Schmach bedacht,
Des Weibes Namen aus, wenn wir uns trennen,
Das sich im Viehgebild zum Vieh gemacht.

     Nun hortest du mich unsre Schuld bekennen,
Doch unsre Namen kundzutun verbeut
Die Zeit; auch wüßt’ ich alle nicht zu nennen.

     Wer ich bin, höre, wenn es dich erfreut.
Guid Guinicell, zur Läutrung zugelassen,
Weil ich vor meinem Tod die Schuld bereut."--

     Wie hergestürzt, die Mutter zu umfassen,
Die Söhne, da sein Schwert Lykurgus schwang,
So wollt’ ich tun, doch mußt’ ich mehr mich fassen,

     Als meines Vaters Name mir erklang,
Des Vaters manches, der vom süßen Minnen
Besser als ich in holden Weisen sang.

     Ich ging und sah ihn an in tiefem Sinnen
Und sagte nichts und hörte keinen Laut,
Auch ließ die Glut nicht weiter mich nach innen.

     Doch als ich satt mich dann an ihm geschaut,
Erbot ich mich, in allem ihm zu dienen,
In solcher Art, der gern der andre traut.

     Und er: "Wie du so freundlich mir erschienen.
Tilgt deine Spur in mir nicht Leibes Flut,
Und ewig wirst du meinen Dank verdienen.

     Doch meinst du’s wirklich denn mit mir so gut,
So sprich, warum? Sprich, weshalb eben wieder
So liebevoll auf mir dein Auge ruht?"

     Und ich darauf: "Ob deiner süßen Lieder,
Die teuer sind den Herzen fort und fort,
Sinkt nicht der neuern Sprache ganz danieder."

     "Ach, Bruder," sprach er, und bei diesem Wort
Zeigt’ er mit seinem Finger hin auf einen,
"Der Sprache bessrer Schmied war jener dort,

     Der in Romanz’ und Liebesliedern keinen
Unüberwunden ließ; und Toren sind,
Die ihn von Giraut übertroffen meinen.

     Nicht nach der Wahrheit--nach des Rufes Wind
Gerichtet werden Meinung und Gesichter;
So läßt Vernunft und Kunst sie taub und blind.

     So machten’s mit Guitton viel alte Richter,
Des Lob so viele schrien, weil andre schrien,
Bis Wahrheit ihn besiegt und andre Dichter.

     Jetzt, wenn so weites Vorrecht dir verlieh’n,
Daß dir’s erlaubt ist, zu dem Kloster droben,
Wo Christus selber Abt ist, hinzuzieh’n,

     So bet’ ein Paternoster doch dort oben
Bei ihm für mich, soweit’s in dieser Welt
Noch not für uns, die wir der Sünd’ enthoben."

     Drauf schwand er, jenem, der sich nah gestellt,
Vielleicht Platz machend, in der Flammen Röte,
Wie in der Flut ein Fisch, der niederschnellt.

     Und dem Gewiesnen naht’ ich mich und flehte
Ihn inniglich um seinen Namen an,
Dem schon Willkommen! meine Sehnsucht böte.

     Worauf er gleich mit frohem Mut begann:
"Die edle Frage weißt du zu verschönen,
Daß ich mich bergen weder will noch kann.

     Ich bin Arnald und geh’ in Schmerz und Stöhnen,
Den Wahn erkennend der Vergangenheit,
Und singe, hoffend, dann in Jubeltönen.

     Jetzt bitt’ ich dich, hast du die Herrlichkeit
Auf dieses Berges Gipfel aufgefunden,
Dann denke meines Leids zur rechten Zeit."

     Hier war er in der Läutrungsglut verschwunden.



SIEBENUNDZWANZIGSTER GESANG
 

    Wie wenn der erste Strahl vom jungen Tage
Im Lande glänzt, benetzt von Gottes Blut,
Wenn Ebro hinfließt unter hoher Wage.

     Und Mittagshitz’ erwärmt des Ganges Flut,
So stand die Sonn’ itzt, drob der Tag entflohe,
Als uns ein Engel glänzt’ in heitrer Glut.

     Er sang am Felsrand, außerhalb der Lohe:
"Beglückt, die reines Herzens sind!"--und mehr
Als menschlich war sein Ton, der mächt’ge, frohe.

     Drauf: "Weiter nicht, ihr Heil’gen, bis vorher
Die Glut euch nagte! Tretet in die Flammen,
Und seid nicht taub dem Sang von dortenher!"

     Dies Wort ertönte jetzt, da wir zusammen
Uns ihm genaht, so schrecklich in mein Ohr,
Als hört’ ich mich zum schwersten Tod verdammen.

     Ich sank auf die gefaltnen Hände vor,
Ins Feuer schauend--wen ich brennen sehen,
Des Bild stieg jetzt vor meinem Geist empor.

     Die Führer nahten sich, mir beizustehen,
Und tröstend sprach zu mir Virgil: "Mein Sohn,
Du kannst zur Qual hier, nicht zum Tode gehen.

     Gedenk’, gedenke--konnt’ ich früher schon
Dich sicher auf Geryons Rücken führen
Wie jetzt, viel näher hier bei Gottes Thron?

     War’ auch die Glut noch loher anzuschüren,
Und stündest du auch tausend Jahre drin,
Doch dürfte sie dir nicht ein Haar berühren.

     Glaubst du, daß ich nicht treu der Wahrheit bin,
So nahe dich und halt, um selbst zu schauen,
Des Kleides Saum mit deinen Händen hin.

     Leg’ ab, mein Sohn, leg’ ab hier jedes Grauen,
Dorthin sei sicher jetzt dein Fuß gewandt!"
Doch säumt’ ich, wider besseres Vertrauen.

     Er, sehend, daß ich starr und stille stand,
Sprach, fast unwillig: "Wie, Sohn, noch verdrossen?
Von Beatricen trennt dich diese Wand!"

     Wie sterbend Ppyramus den Blick erschlossen,
Da’s: Thisbe! klang, gekehrt zum teuren Bild,
Als blut’ges Rot die Maulbeer’ übergossen;

     So kehrt’ ich, nicht mehr hart, nein, sanft und mild,
Zum Führer mich, sobald der Nam’ erschollen,
Der ewig frisch in meinem Herzen quillt.

     Drob schüttelt er das Haupt und sagte: "Sollen
Wir diesseits bleiben?" lächelnd, denn ich tat
Wie Knaben, die, besiegt vom Apfel, wollen.

     Drauf trat er vor mir in die Flamm’ und bat
Den Statius, uns folgend, nachzukommen,
Der uns vorher getrennt den langen Pfad.

     Ich folgt’ und hätt’, um Kühlung zu bekommen,
Mich in geschmolznes Glas gestürzt. So war
Im höchsten Übermaß die Flamm’ entglommen.

     Doch bot mir Trost mein süßer Vater dar,
Sprechend von ihr, und half mir weiter dringen,
Und sprach: "Ich seh’ im Geist ihr Augenpaar!"

     Wir hörten jenseits eine Stimme singen,
Und dieser folgten wir, ihr horchend, nach,
Indem wir, wo man stieg, der Flamm’ entgingen.

     "Gesegnete des Vaters, kommt!" so sprach
Die Stimm’ aus einem Licht, dort aufgegangen,
Bei dessen Anschau’n mir das Auge brach.

     "Die Sonne geht, der Abend kommt"--so klangen
Die Töne fort--"nicht weilt, beeilt den Lauf,
Bevor den Westen dunkles Grau umfangen."

     G’rad’ durch den Felsen ging der Weg hinauf,
Und, ostwärts steigend, hielt vor meinen Tritten
Ich die schon matten Sonnenstrahlen auf.

     Und als wir wenig Stufen aufgeschritten,
Bemerkten wir am Schatten, der verging,
Sol, uns im Rücken, sei ins Meer geglitten.

     Eh gleiches Grau den Horizont umfing
In allen seinen unermeßnen Teilen,
Eh Nacht um alles ihren Schleier hing,

     Da mußt’ auf einer Stufe jeder weilen,
Die uns zum Bett ward, denn die Zeit benahm
Die Macht mehr, als die Lust, empor zu eilen.

     Gleichwie die Ziegenherde, satt und zahm,
Im Schatten wiederkäut in stillem Brüten,
Die, hungrig, jähen Sprungs zur Höhe kam,

     Wenn nun im Mittagsbrand die Luft’ entglühten,
Indes der Hirt den Stab zur Stütze macht,
Und dorten steht, gestützt, um sie zu hüten;

     Und wie ein Hirt im freien Feld bei Nacht,
Damit kein wildes Tier der Herde schade,
Und sie zerstreu’, entlang der Hürde wacht;

     So jetzt wir drei auf engem Bergespfade,
Der Zieg’ ich gleich, den Hirten jenes Paar,
Umschlossen hier und dort vom Felsgestade.

     Ob wenig gleich zu sehn nach außen war,
Doch sah ich durch dies wenige die Sterne
Weit mehr, als sonst gewöhnlich, groß und klar.

     Indes ich staunt’ in unermeßne Ferne,
Befiel mich Schlaf, der öfters uns befällt,
Damit der Geist die Zukunft kennen lerne.

     Zur Stunde, glaub’ ich, da vom Sternenzelt
Cytherens erster Strahl die Höhe schmückte.
Wie immerdar, von Liebesglut erhellt,

     Sah ich im Traum, der mich mir selbst entrückte,
Ein schönes junges Weib, das hold bewegt,
Durch Wiesen ging und singend Blumen pflückte.

     "Lea bin ich, dies wisse, wer mich fragt,
Ich liebe, Kränze windend, hier zu wallen,
Und emsig wird die schöne Hand geregt.

     Ich will, geschmückt, im Spiegel mir gefallen.
Die Schwester Rahel liebt es, stets zu ruh’n,
Und läßt dem Spiegel keinen Blick entfallen.

     Und freut sie sich der schönen Augen nun,
So bin ich froh, mich mit den Händen schmückend,
Denn schau’n befriedigt sie, und mich das Tun."

     Des Tages Vorlicht, um so mehr entzückend,
Je mehr des Pilgrims Nachtquartier dem Ort
Der Heimat nah ist, scheuchte, höher ruckend,

     Die Finsternis von allen Seiten fort,
Mit ihr den Traum; drum eilt’ ich, aufzusteigen,
Und sah schon aufrecht beide Meister dort.

     "Die süße Frucht, die auf so vielen Zweigen
Voll Eifer sucht der Sterblichen Begier,
Bringt alle deine Wünsche heut zum Schweigen!"

     Mit dieser Rede sprach Virgil zu mir,
Und nie empfand bei Erdenherrlichkeiten
Ein Mensch noch solche Lust, als ich bei ihr.

     Hinauf! Mich trieb’s und trieb’s, hinauf zu schreiten!
So fühlt’ ich nun mit jedem Schritt zum Flug
Die Schwingen wachten und sich freier breiten.

     Und wie er mich empor die Stufen trug,
Stand bald ich auf der höchsten dort mit beiden,
Wo fest auf mich Virgil die Augen schlug.

     "Des zeitlichen und ew’gen Feuers Leiden
Sahst du, und bist, wo weiterhin nichts mehr
Ich durch mich selbst vermag zu unterscheiden.

     Durch Geist und Kunst geleitet’ ich dich her;
Zum Führer nimm fortan dein Gutbedünken;
Dein Pfad ist fürderhin nicht steil und schwer.

     Sieh dort die Sonn’ auf deine Stirne blinken,
Sieh, durch des Bodens Kraft und ohne Saat
Entkeimt, dir Gras, Gesträuch und Blumen winken.

     Bis sich dir froh ihr schönes Auge naht
Das mich zu dir einst rief mit bittern Zähren,
Ruh’ oder wandle hier auf heiterm Pfad.

     Nicht harre fürder meiner Wink’ und Lehren,
Frei, g’rad’, gesund ist, was du wollen wirst,
Und Fehler wär’ es, deiner Willkür wehren,

     Drum sei fortan dein Bischof und dein Fürst.



ACHTUNDZWANZIGSTER GESANG
 

    Begierig schon, zu spähn umher und innen
Im göttlichen, lebend’gen, dichten Wald,
Der sanft den Morgen milderte den Sinnen,

     Verließ ich das Gestad nun alsobald,
Um langsam, langsam in das Feld zu treten,
Auf einem Grund, dem ringsum Duft entwallt.

     Von einem Lüftchen, einem sanften, steten,
Ward leiser Zug an meiner Stirn erregt,
Nicht mehr, als ob mich Frühlingswind’ umwehten.

     Er zwang das Laub, zum Zittern leicht bewegt,
Sich ganz nach jener Seite hin zu neigen,
Wohin der Berg den ersten Schatten schlägt.

     Doch nicht so heftig wühlt’ er in den Zweigen,
Daß es die Vöglein hindert’, im Gesang
Aus grünen Höh’n all ihre Kunst zu zeigen.

     Nein, wie der Lüfte Hauch ins Dickicht drang,
Frohlockten sie ihr Morgenlied entgegen,
Wozu, begleitend. Laubgeflüster klang,

     So klingt’s, wenn Zweig’ um Zweige sich bewegen
Im Fichtenwald an Chiassis Meergestad,
Sobald sich des Schirokko Schwingen regen.

     Schon war ich mit langsamem Schritt genaht,
Und bald so dicht vom alten Hain umschlossen,
Daß nicht zu sehn war, wo ich ihn betrat.

     Da sieh die Bahn durch einen Bach verschlossen,
Der links hin, mit der kleinen Wellen Schlag
Die Gräser bog, die seinem Bord entsprossen.

     Das reinste Wasser hier am klarsten Tag,
Trüb scheint es und vermischt mit fremden Dingen,
Vergleicht man’s dem, wo nichts sich bergen mag,

     Obwohl, da Schatten ewig es umringen,
Es dunkel, dunkel strömt und nie hinein
Der Sonne noch des Mondes Strahlen dringen.

     Es stand mein Fuß; doch jenseits in den Hain
Ließ übern Fluß ich meine Blicke schreiten,
Und sah dort mannigfache grüne Mai’n.

     Und mir erschien--so stellt dem Blick zuzeiten
Sich unversehn Erstaunenswertes dar,
Den Geist von allem andern abzuleiten--

     Ein einsam wandelnd Weib, das wunderbar
Im Gehen sang, aufsammelnd Blüt’ um Blüte,
Womit vor ihr bemalt der Boden war.

     "O Schöne, die du, zeigt sich das Gemüte,
Wie’s pflegt, im Äußern, mich zu glauben zwingst,
Daß an der Liebe Strahl dein Herz entglühte,

     O käme Lust dir, daß du näher gingst,"
Ich sprach’s zu ihr, den Fuß zum Bache lenkend,
"Daß ich verstehen könne, was du singst.

     Dich seh’ ich jetzt, Proserpinens gedenkend,
Des Orts auch, wo die Mutter sie verlor,
Und sie den Lenz, sich in die Nacht versenkend."

     Und wie die Tänzerin, die kaum empor
Die Sohlen hebt, mit engen Schritten gleitend,
Ein zartes Füßlein kaum dem andern vor;

     So sah ich sie, durch bunte Blumen schreitend,
Jungfräulich bodenwärts den Blick gewandt,
Und Ehrbarkeit und Würde sie begleitend,

     5o daß ich bald den Wunsch befriedigt fand,
Indem ich, wie sie näher hergezogen,
Den Sinn des süßen Liedes wohl verstand.

     Sobald sie dort war, wo des Flusses Wogen
Den grünen Rasen am Gestad besprüh’n,
Erhob sie hold der Wimpern schöne Bogen.

     Nicht mocht’, als Amor, übermäßig kühn,
Die Mutter wund mit seinem Pfeile machte,
In solcher Lust Cytherens Auge glüh’n.

     Am rechten Ufer stand sie dort und lachte,
Und pflückte Blumen von der Wiese Saum,
Die ohne Saat hervor die Höhe brachte.

     Das Bächlein trennt’ uns um drei Schritte kaum,
Doch Hellespont, den Xexes überschritten,
Noch jetzt dem höchsten Menschenstolz ein Zaum,

     Hat schärfer nicht Leanders Haß erlitten,
Indem er Sestos und Abydos schied,
Als meinen er, ein Hemmnis meinen Schritten.

     "Ihr seid hier neu und weil in dem Gebiet,"
Begann sie nun, "das an der Menschheit Morgen
Zu ihrer Wiege Gott, der Herr, beschied,

     Ich lächle, staunt ihr noch und seid in Sorgen.
Doch zeigt der Psalm: Herr, du erfreutest mich--
Euch klar das Licht, das Nebel noch verborgen.

     Du, der du vorn stehst und mich batest, sprich;
Noch scheinst du einem Zweifel nachzuhängen,
Drum frage nur, und ich befried’ge dich."

     "Das Wasser," sprach ich, "samt des Waldes Klängen,
Sie müssen das, worauf ich kaum getraut,
Da sie ihm widersprechen, hart bedrängen."

     Drum sie: "Vom Grunde des, was du geschaut,
Und was gehört, sei Kunde dir beschieden;
Sie scheucht den Nebel, welcher dich umgraut.

     Das höchste Gut, allein in sich zufrieden,
Den Menschen schuf’s zum Guten gut, und wies
Dies Land ihm an, als Pfand für ew’gen Frieden,

     Aus welchem bald ihn seine Schuld verstieß,
Die Schuld, die süße Spiele mit Beschwerden,
Mit Zähren ehrbar Lachen wechseln ließ.

     Damit, entqualmt dem Wasser und der Erden
Die Dünste, die der Hitze nach, so weit
Es möglich ist, emporgezogen werden,

     Ihn nicht befehdeten mit ihrem Streit,
Stieg himmelwärts der Berg in solcher Weise,
Und ist vom Tor an ganz von Dunst befreit.

     Nun, weil noch immerfort im ersten Gleise
Der Lüfte ganzer Zirkellauf sich dreht,
Wenn nichts ihn unterbricht in seinem Kreise,

     Trifft diesen Gipfel, der frei ragend steht,
Die Lebensluft, die, jedes Blatt bewegend,
Den dichten Wald mit diesem Klang durchweht.

     Die Pflanze, sich in ihrem Hauche regend,
Beschwängert dann die Luft mit ihrer Kraft,
Und diese streut sie aus in jede Gegend.

     Die Länder, wie ihr Boden wirkt und schafft,
Ihr Himmelsstrich und ihre Lage, treiben
Dann Bäume von verschiedner Eigenschaft.

     Nun wird dies fürder nicht ein Wunder bleiben,
Wie manche Pflanzen, wo man nicht bestellt,
Ja, ohne sichtbar’n Samen doch bekleiben.

     Und wissen sollst du, daß im heil’gen Feld,
In dem du bist, die Samen alle sprießen,
Und Früchte, nie gepflückt in eurer Welt.

     Den Fluß auch siehst du nicht aus Adern fließen,
Genährt vom Dunst, den Kälte niederpreßt,
Die bald vertrocknen, bald sich wild ergießen.

     Ihm ward ein Quell, aus welchem, stät und fest,
Die Wässer, die dem Doppelarm entfluten,
Die Wille Gottes neu ersetzen läßt.

     Der Arm hier hat die Kraft, daß in den Fluten
Jedweder Schuld Erinnerung versinkt;
Der andre dort erneuert die des Guten,

     Der hier heißt Lethe; aber dorten winkt
Dir Eunoe--allein nur jenen letzen
Wird seine Kraft, der aus dem erstem trinkt.

     Kein Wohlgeschmack ist seinem gleich zu schätzen;
Und wäre schon genügend, was ich sprach,
Vermöcht’ ich auch nichts weiter zuzusetzen,

     Doch bring’ ich gern noch einen Zusatz nach,
Und deinen Dank vermein’ ich zu verdienen,
Wenn ich dir mehr erfüll’, als ich versprach.

     Den alten Dichtern, glaub’ ich, wenn von ihnen
Gepriesen ward das Glück der goldnen Zeit,
War dieser Ort im Traumgesicht erschienen.

     Hier sproß die Menschheit ohne Schuld und Leid,
Hier jede Frucht in ew’gem Frühlingsleben,
Hier schmeckst du noch des Nektars Lieblichkeit."

     Und als sie noch mir solches kundgegeben,
Kehrt’ ich mich um, und sah ein Lächeln hier,
Bei diesem Schluß, der Dichter Mund umschweben,

     Dann aber wandt’ ich wieder mich zu ihr.



NEUNUNDZWANZIGSTER GESANG
 

    In Sang, nach liebentglühter Frauen Art,
ließ sie zuletzt der Rede Schluß verhallen:
"Heil, wem bedeckt jedwede Sünde ward."

     Und gleichwie Nymphen, in der Waldnacht Hallen,
Hier vor der Sonne Strahlen fliehend, dort
Aufsuchend ihren Schimmer, einsam wallen;

     Ging sie dem Strom entgegen hin am Bord,
Ich, folgend kleinem Schritt mit kleinem Schritte,
Ging sie begleitend gegenüber fort.

     Kaum hundert waren mein’ und ihrer Tritte,
Da bog mit beiden Ufern sich der Bach,
Und ostwärts ging ich durch des Waldes Mitte.

     Nicht lange zog ich dieser Richtung nach,
Da sah ich sich zu mir die Schöne wenden:
"Mein Bruder, halt’ itzt Ohr und Auge wach!"

     Sie sprach’s, und gleich durchlief von allen Enden
Ein schnell entstandner Glanz den großen Hain;
Ich glaubt’, es möge mich ein Blitzstrahl blenden,

     Doch weil, wie kommt, so geht des Blitzes Schein
Und dieser Glanz sich dauernd nur vermehrte,
So dacht’ ich still bei mir: Was mag das sein?

     Und durch die Luft, die helle, lichtverklärte,
Zog süßer Laut, und eifrig schalt ich jetzt.
Daß Evas Frevelmut zu viel begehrte.

     Wo Erd’ und Himmel nicht sich widersetzt,
Da fühlt’ ein Weib sich, kaum der Ripp’ entsprossen,
Vom Schleier, der ihr Aug’ umzog, verletzt.

     O hätte sie sich fromm in ihm verschlossen,
Hätt’ ich die überschwänglich große Lust,
Wohl früher schon und länger dann genossen.

     Nachdem ich zweifelnd, meiner kaum bewußt,
In diesen Erstlingswonnen fortgegangen,
Mit Drang nach größern Freuden in der Brust,

     Da glüht’, als war’ ein Feuer aufgegangen,
Die Luft im Laubgewölb’--es scholl ein Ton,
Und deutlich hört’ ich bald, daß Stimmen sangen.

     Hochheil’ge Jungfrau’n, wenn ich öfter schon
Frost, Hunger, Wachen treu für euch ertragen,
Jetzt treibt der Anlaß mich, jetzt fordr’ ich Lohn.

     Laßt auf mich her des Pindus Wellen schlagen,
Urania sei meine Helferin,
Was schwer zu denken ist, im Lied zu sagen.

     Ich glaubte sieben Bäume weiterhin
Von Gold zu schau’n, allein vom Schein betrogen
War durch den weiten Zwischenraum mein Sinn.

     Denn als ich nun so nahe hingezogen,
Daß sich vom Umriß, der den Sinn betört,
Gestalt und Art durch Ferne nicht entzogen,

     Da ließ die Kraft, die den Verstand belehrt,
Anstatt der Bäume Leuchter mich erkennen,
Und deutlich ward Hosiannasang gehört.

     Und oben sah ich das Geräte brennen,
Und heller ward die Flamm’ als Lunas Licht
In Monats Mitt’ um Mitternacht zu nennen.

     Zum Führer wandt’ ich staunend mein Gesicht,
Doch nichts vermocht’ er weiter vorzubringen,
Als was ein tief erstauntes Antlitz spricht.

     Da blickt’ ich wieder nach den hohen Dingen,
Die langsamer als eine junge Braut,
Sich stillbewegend, mir entgegengingen.

     "Was bist du doch", so schalt die Schöne laut,
"Für die lebend’gen Lichter so entglommen,
Daß nicht auf das, was folgt, dein Auge schaut?"

     Und hinter ihnen sah ich Leute kommen,
Wie man dem Führer folgt, weiß ihr Gewand,
Weiß, wie man nichts auf Erden wahrgenommen.

     Das Wasser glänzte mir zur linken Hand,
Worin, wenn ich in seinen Spiegel sähe,
Ich meine linke Seite wiederfand.

     Als ich am rechten Platze war, so nahe,
Daß nur der Fluß mich schied, hemmt’ ich den Schritt,
Um besser zu erschau’n, was dort geschahe.

     Ich sah, wie jede Flamme vorwärts glitt,
Und hinter jeder blieb ein helles Strahlen,
Das, Pinselstrichen gleich, die Luft durchschnitt.

     So sah man sieben Streifen oben strahlen,
Sie allesamt in jenen Farben bunt,
Die Phöbes Gurt und Phöbus’ Bogen malen.

     Nicht ward ihr Ende meinem Auge kund,
Doch sah ich, daß an beiden äußern Grenzen
Zehn Schritt der erste von dem letzten stund.

     Und wie ich also sah den Himmel glänzen,
Da zogen drunten, zwei an zwei gereiht,
Zweimal zwölf Greise her in Lilienkränzen.

     Und alle sangen: "Sei gebenedeit
In Adams Töchtern! Herrlich und gepriesen
Sei deine Huld und Schön’ in Ewigkeit."

     Und als nun die beblümten frischen Wiesen,
Die jenseits das Gestad des Bachs begrenzt,
Die Auserwählten nach und nach verließen,

     Sah ich, wie Stern um Stern am Himmel glänzt,
Vier Tiere dort zunächst sich offenbaren,
Und jedes ward mit grünem Laub bekränzt

     Und war versehn mit dreien Flügelpaaren,
Mit Augen ihre Federn ganz besetzt,
Wie die des Argus, als er lebte, waren.

     Nicht viel der Reime, Leser, wend’ ich jetzt
Auf ihre Form, denn sparsam muß ich bleiben,
Da größrer Stoff mich noch in Kosten setzt.

     Laß von Ezechiel sie dir beschreiben;
Von Norden sah er sie, so wie er spricht,
Mit Sturm, mit Wolken und mit Feuer treiben.

     Wie ich sie fand, beschreibt sie sein Bericht,
Nur stimmt Johannes in der Zahl der Schwingen
Mir völlig bei und dem Propheten nicht.

     Es stellt’ im Raum sich, den die Tier’ umfingen,
Ein Siegeswagen auf zwei Rädern dar,
Des Seil’ an eines Greifen Hälse hingen.

     Und in die Streifen ging der Flügel Paar,
Die hoch, den mittelsten umschließend, standen,
So, daß kein Streif davon durchschnitten war.

     Sie hoben sich so hoch, daß sie verschwanden;
Gold schien, soweit er Vogel, jedes Glied,
Wie sich im andern Weiß und Rot verbanden.

     Nicht solchen Wagen zum Triumph beschied
Rom dem Augustus, noch den Afrikanen;
Ja, arm erschiene dem, der diesen sieht,

     Sols Wagen, der, entrückt aus seinen Bahnen,
Verbrannt ward auf der Erde frommes Fleh’n
Durch Zeus’ gerechten Ratschluß, wie wir ahnen,

     Man sah im Kreis drei Frau’n sich tanzend dreh’n
Am Rande rechts, und hochrot war die eine,
Gleich lichter Glut der Flammen anzusehn.

     Die zweite glänzte hell in grünem Scheine,
Gleich dem Smaragden, und die dritte schien
Wie frisch gefallner Schnee an Weiß’ und Reine.

     Die Weiße sah man bald den Reigen zieh’n,
Die Rote dann, und nach dem Sang der letzten
Die andern langsam gehn und eilig flieh’n.

     Links vier im Purpurkleid, die sich ergötzten,
Und, wie die eine, mit drei Augen, sang,
Nach ihrer Weis im Tanz die Schritte setzten.

     Nach allen diesen kam den Pfad entlang,
Ungleich in ihrer Tracht, ein paar von Alten,
Doch gleich an Ernst und Würd’ in Mien’ und Gang.

     Der erste war für einen Freund zu halten
Des Hippokrat, den die Natur gemacht,
Um ihrer Kinder liebste zu erhalten.

     Der andre schien aufs Gegenteil bedacht,
Mit einem Schwert, und durch das scharfe, lichte,
Ward ich diesseits des Bachs in Angst gebracht.

     Dann kamen vier daher, demüt’ge, schlichte,
Und hinter ihnen kam ein Greis, allein
Und schlafend, mit scharfsinnigem Gesichte.

     Die sieben schienen gleich an Tracht zu sein
Den ersten zweimal zwölf, doch nicht umblühten
Die Häupter Lilienkränz’ in weißem Schein,

     Rosen vielmehr und andre rote Blüten,
Und wer vom weiten sie erblickte, schwor,
Daß oberhalb der Brau’n sie alle glühten.

     Mir gegenüber fuhr der Wagen vor,
Worauf ein Donnerhall mein Ohr ereilte,
Und sich des Zugs Bewegung schnell verlor,

     Der jetzt zugleich mit seinen Fahnen weilte.



DREIßIGSTER GESANG
 

    Sobald der Empyre’n Gestirn des Norden,
(Das nimmer aufgeht, noch sich wieder senkt,
Und das durch Sünden nur umnebelt worden;

     Bei welchem jeder dort der Pflicht gedenkt,
Zu der es leitet, wie den Kahn hienieden,
Das, welches tiefer steht, zum Hafen lenkt),

     Stillstand, da wandten, die’s vom Greifen schieden,
Die zweimal zwölf und vier Wahrhaften, sich
Zum Wagen hin als wie zu ihrem Frieden.

     Und einer, der des Himmels Boten glich,
Rief dreimal singend zu der andern Sange:
"Komm, Braut vom Libanon, und zeige dich!"

     Wie bei des Weltgerichts Posaunenklange
Der Sel’gen Schar, mit leichtem Leib umfahn,
Dem Grab erstehen wird mit eil’gem Drange,

     So hoben von des heil’gen Wagens Bahn
Wohl hundert sich bei solcher Stimme Schalle,
Des ew’gen Lebens Diener, himmelan.

     "Heil dir, der kommt!" so klang’s im Widerhalle,
"Streut Lilien jetzt mit vollen Händen hin!"
Und Blumen warfen rings und oben alle.

     Schon sah ich bei des Tages Anbeginn
Geschmückt den Osten sich mit Rosen zeigen,
Sah klar den Himmel und die Königin

     Des Tages, sanft umschattet, höher steigen,
So daß, da ihren Schimmer Dunst umfloß,
Mein Blick ihn aushielt, ohne sich zu neigen.

     Hier, durch die. Blumenflut, die sie umschloß,
Und niederstürzend um und in den Wagen,
Sich aus der Himmelsboten Hand ergoß,

     Sah ich ein Weib in weißem Schleier ragen,
Olivenzweig’ ihr Kranz, und ums Gewand,
Das Feuer schien, des Mantels Grün geschlagen.

     Mein Geist, dem schon so manches Jahr entschwand,
Seit er in ihrer Gegenwart mit Beben
Demüt’gen Staunens bange Lust empfand,

     Fühlt’, eh das Aug’ ihm-Kunde noch gegeben,
Durch die geheime Kraft, die ihr entquoll,
Die alte Liebe mächtig sich erheben.

     Kaum war der hohen Kraft die Seele voll,
Der Kraft, durch die, bevor ich noch entgangen
Der Knabenzeit, mein wundes Herz erschwoll,

     So wandt’ ich links mich hin, mit dem Verlangen,
Mit dem ein Kind zur Mutter läuft und Mut
Im Schrecken sucht und Trost im Leid und Bangen,

     Um zu Virgil zu sagen: "Ach mein Blut!
Kein Tröpflein blieb mir, das nicht bebend zücke--
Ich kenne schon die Zeichen alter Glut."

     Doch sein beraubt ließ uns Virgil zurücke,
Virgil, der väterliche Freund--Virgil,
Dem sie mich übergab zu meinem Glücke.

     Was Eva einst verloren, da sie fiel,
Nicht half es mir, die Tränen zu vermeiden,
Wovon ein Strom die Wangen niederfiel.

     "O Dante, mag Virgil auch von dir scheiden,
Nicht weine drum, noch jetzo weine nicht;
Zu weinen ziemt dir über andres Leiden!"

     Und wie mit ernstgebietendem Gesicht
Ein Admiral, der, musternd seine Scharen
Vom hohen Bord, sie mahnt an ihre Pflicht,

     So war sie links im Wagen zu gewahren,
Als ich nach meines Namens Klang mich bog,
Den hier die Not mich zwang, zu offenbaren;

     Ich sah die Frau, die erst sich mir entzog,
Als sie erschien, in jener Engelfeier,
Wie nach mir her ihr Blick von jenseits flog.

     Doch ihr vom Haupte wallend ließ der Schleier,
Der von Minervens Laub umkränzet ward,
Mir ihren Anblick nur noch wenig freier.

     Stolz sprach sie nun mit königlicher Art,
Gleich einem, der erst mild spricht, anzuschauen,
Und sich das härtre Wort fürs Ende spart:

     "Schau’ her, Beatrix bin ich! Welch Vertrauen
Führt dich zu diesen Höh’n? Wie? Weißt du nicht,
Beglückte wohnen nur in diesen Auen."

     Ich sah zum Bach hinab, sah mein Gesicht,
Sah auf die Blumen dann, die mich umgaben,
Gedrückt die Stirn von schwerer Scham Gewicht.

     So stolz erscheint die Mutter ihrem Knaben,
Wie sie mir schien; denn ihr mitleidig Wort
Schien den Geschmack der Bitterkeit zu haben.

     Sie schwieg, da sang der Engel Chor sofort
Den Psalmen: Herr, auf dich nur steht mein Hoffen,
Bis: Stellest meine Fuß auf weiten Ort.

     Wie auf den Rücken Welschlands, welcher offen
Den Stürmen ragt, der Schnee, im Frost gehäuft,
Zu Eis erstarrt, vom slaw’schen Wind getroffen,

     Dann, in sich selbst versickernd, niederträuft,
Wenn laue Wind’ aus Libyen ihn verzeihen,
So wie, dem Feuer nah, das Wachs zerläuft;

     So war ich ohne Seufzer, ohne Zähren,
Bevor die Engel sangen, deren Sang
Nur Nachklang ist vom Lied der ew’gen Sphären.

     Doch als im Lied ihr Mitleid mir erklang,
Wohl heller klang, als hätten sie gesungen:
"Was, Herrin, machst du ihm das Herz so bang?"

     Da ward das Eis, das fest mein Herz umschlungen,
Zu Hauch und Wasser bald und kam durch Mund
Und Auge bang aus meiner Brust gedrungen.

     Sie, welche, wie zuvor, im Wagen stund,
Sie wandte sich dem Engelchor entgegen,
Und tat den heil’gen Scharen dieses kund:

     "Ihr wacht im ew’gen Tag, und nimmer mögen
Euch einen Schritt entziehen Schlaf und Nacht,
Den das Jahrhundert tut auf seinen Wegen.

     Drum ist die Antwort wohl für ihn bedacht,
Der drüben weint, damit sie klar beweise,
Daß große Schuld auch große Schmerzen macht.

     Nicht durch die Kraft allein der ew’gen Kreise,
Die jedes Wesen zu dem Ziele lenkt,
Das ihm sein Stern gesteckt für seine Reise,

     Durch das auch, was die Gnade Gottes schenkt,
Sie, deren Regen solche Dünst’ umgeben,
Daß sich kein Blick in ihre Tiefen senkt,

     War dieser einst in seinem neuen Leben
Gar hoch begabt, um sich zur Trefflichkeit
Durch rechte Sitte mächtig zu erheben.

     Doch wilder wird in schnöder Üppigkeit
Jedweder schlechte Same sich entfalten,
Je kräft’ger ist des Bodens Fruchtbarkeit.

     Wohl wußt’ ich ein’ge Zeit ihn festzuhalten,
Indem ich ihm die jungen Augen wies;
Da ließ er gern als Führerin mich walten.

     Doch hatt’ er, als ich kaum die Welt verließ,
Zum bessern Sein zu gehn, sich mir entzogen,
Indem er andern ganz sich überließ.

     Als ich vom Fleisch zum Geist emporgeflogen,
Und höh’re Tugend, höhern Reiz empfah’n,
Da war er minder hold mir und gewogen.

     Er wandte seinen Schritt zur falschen Bahn,
Trugbildern folgend schnöden Wonnelebens,
Den falschen Lockungen und leerem Wahn.

     Im Traum und Wachen rief ich ihn vergebens,
Und Mahnung haucht’ ich ihm und Warnung ein,
Doch blieb er taub im Leichtsinn eiteln Strebens.

     Ein Mittel könnt’ ihm nur zum Heil gedeih’n,
So tief schon hatt’ er sich im Wahn verloren,
Und solches war der Anblick ew’ger Pein.

     Deswegen drang ich zu der Hölle Toren
Und habe den, der ihn herauf geführt,
Mit Bitten und mit Tränen dort beschworen.

     Nicht wär’s, wie sich’s nach ew’gem Rat gebührt,
Wenn er durch Lethe ging’ und sie genösse,
Und nicht vorher, bußfertig und gerührt,

     In Reuezähren seine Schuld ergösse.



EINUNDDREIßIGSTER GESANG
 

    "Du, jenseits dort am heil’gen Strom," so kehrte
Sie jetzt der Rede Spitze gegen mich,
Nachdem die Schneide schon mich hart versehrte,

     Fortfahrend ohne Säumen: "Sprich, o sprich,
Ist dieses wahr? Erkennst du deine Fehle?
Auf solche Klage ziemt die Beichte sich."

     Die Stimme regte sich, doch in der Kehle
Erstarb das Wort; denn, statt gehoffter Huld.
Verwirrte finstre Strenge meine Seele.

     Nur wenig hatte sie mit mir Geduld:
"Was sinnst du? Sprich! Noch tilgten nicht die Wogen
Der Lethe die Erinnrung deiner Schuld."

     Furcht und Verwirrung, sich vermischend, zogen
Ein Ja! aus meinem Mund, das zwar erblickt
Vom Auge ward, allein dem Ohr entzogen.

     Gleichwie zu scharf gespannt die Armbrust knickt,
Und, wenn sich Sehn’ und Bogen überschlagen,
Den Pfeil mit mindrer Kraft zum Ziele Schickt,

     So brach, zu schwach, so schwere Last zu tragen,
Ich jetzt in Seufzer aus und Tränenflut
Und ließ den Ton sich nicht ins Freie wagen.

     Drum sie zu mir: "In meiner Wünsche Glut,
Die einst dich jenes Gut zu lieben führte,
Das unserm Wunsch entrückt all andres Gut.

     Welch eine Kette war’s, die dich umschnürte,
Das auf den Fortschritt, mit verzagtem Sinn,
Die Hoffnung abzulegen dir gebührte.

     Und welche Fördrung, welcherlei Gewinn,
Die lockend dir von andrer Stirne lachten?
Was führte dich zu ihrem Wege hin?"

     Nach einem tiefen, bittern Seufzer machten
Sich Töne mühsam frei aus meiner Brust,
Die kaum als Wort’ hervor die Lippen brachten.

     "Die Gegenwart, mit ihrer falschen Lust,"
So weint’ ich, "hat, als eure Blick’ entschwanden,
Rückwärts zu wenden meinen Schritt gewußt."

     "Verschwiegst, vermeintest du, was du gestanden,"
Sprach sie, "nicht minder wär’s dem Richter kund,
Vor dessen Blick die Lüge nie bestanden.

     Doch wenn man sich verklagt mit eignem Mund.
So wird hier abgestumpft das Schwert der Rache,
Und Gnade macht des Sünders Herz gesund.

     Drum, daß dein Wahn dich mehr erröten mache,
Und daß dein Herz zu jeder andern Zeit
Die Lockung der Sirenen kühn verlache,

     Laß ab vom Weinen jetzt und Traurigkeit;
Vernimm vielmehr, welch andern Weg zu wallen
Dir ziemend war, als mich der Tod befreit.

     Nichts ließ Natur und Kunst dir je gefallen,
Wie jenen Leib, in dem ich dort erschien,
Des schöne Glieder jetzt in Staub zerfallen.

     Und sahest du die höchste Wonn’ entflieh’n
Bei meinem Tod, was konnte dich besiegen?
Welch ird’sche Lust dich fürder an sich zieh’n?

     Beim Reiz der Dinge, die das Herz betrügen,
Bei ihrem ersten Pfeil, war’s ziemend, mir,
Die ich mein Sein verwandelt, nachzufliegen.

     Nicht niederzieh’n sollt’ er die Schwingen dir,
Nicht harren solltest du der andern Pfeile,
Des Mägdleins nicht, nach andrer eitlen Zier.

     Der junge Vogel harrt in träger Weile
Des zweiten Pfeils, doch der beschwingte flieht
Und schützt vor Netz und Pfeilen sich durch Eile."

     Gleichwie ein Knabe schweigend niedersieht,
Wenn Vorwurf und Bewußtsein ihn verstören,
Und Reue sein Gesicht zur Erde zieht;

     So stand ich dort: "Betrübt dich schon das Hören,"
Sie sprach’s, "So sei emporgewandt dein Bart;
Das Schauen wird noch deinen Schmerz vermehren."-

     In ihrem Widerstande minder hart,
Läßt ihrem Grund die Eiche sich entreißen,
Wenn sie von Nordsturms Macht durchschüttelt ward,

     Als ich das Kinn erhob, da sie’s geheißen.
Auch fühlt’ ich, da sie Bart für Antlitz sprach,
Des Wortes Gift an meinem Herzen reißen.

     Das Antlitz hob ich zögernd und gemach,
Und sieh, die schönen englischen Gestalten,
Sie ließen jetzt im Blumenstreuen nach.

     Mein Blick, kaum fähig noch, ein Bild zu halten,
Erschaute sie, dem Greifen zugewandt,
In dem, dem einen, zwei Naturen walten.

     Sie schien, verschleiert, jenseits dort am Strand,
Das, was sie einst war, jetzt zu überwinden,
Wie sie vordem die andern überwand.

     Wie mußt’ ich da der Reue Schmerz empfinden!
Wie, was mich von ihr abgewandt, die Lust
Der eiteln Welt jetzt hassenswürdig finden!

     So nagte Selbstbewußtsein meine Brust,
Daß ich hinsank--mit welchem innrem Beben,
Ihr, die es mir erregt, ihr ist’s bewußt.

     Als äußre Kraft das Herz mir neu gegeben,
Sprach über mir sie, die mir erst allein
Erschienen war: "Mich fass, um dich zu heben!"

     Sie zog mich bis zum Hals den Fluß hinein,
Glitt, wie ein Webschiff, ohne sich zu senken,
Auf seiner Fläch’ und zog mich hinterdrein,

     Um mich zum sel’gen Ufer hinzulenken.
Dort klang’s: "Entsünd’ge mich!" so süß--ich kann
Es nicht beschreiben, ja, nicht wieder denken.

     Die schöne Frau erschloß die Arme dann,
Umschlang mein Haupt und taucht’ es in die Wogen,
Drob ich vom Wasser trank, das mich umrann.

     Drauf, als sie mich gebadet vorgezogen,
Bot sie zum Tanze mich den schönen vier,
Die hold um meinen Hals die Arme bogen.

     "Wir sind am Himmel Sterne, Nymphen hier.
Und als zur Welt Beatrix kam, so gingen
Als ihre Dienerinnen wir mit ihr.

     Wir werden dich ihr vor die Augen bringen;
Dir schärfen dann, fürs holde Licht darin
Den Blick die drei, die schauend tiefer dringen."

     Sie sangen diese Worte zum Beginn,
Worauf sie mich zur Brust des Greifen brachten.
Dort wandte sie nach uns das Antlitz hin.

     Sie sprachen dann: "Hier darfst du frei betrachten,
Wir stellten dich vor der Smaragden Licht,
Woraus dich wund der Liebe Pfeile machten."

     Mir weckt’ ein glühend Sehnen ihr Gesicht
Und band an ihrer Augen Glanz die meinen;
Die ihren wichen vor dem Greifen nicht.

     Und drinnen sah ich den zwiefachen Einen,
Gleichwie die Sonn’ im Spiegel, schimmernd klar,
Als diesen bald, als jenen bald erscheinen.

     Nun denke, Leser, selbst, wie wunderbar,
Das Abbild, sich verwandelnd, zu erblicken,
Obwohl das Urbild stets dasselbe war.

     Indes die Seel’ in Staunen und Entzücken
Die Speise kostete, die größern Drang
Nach sich erweckt, je mehr wir uns erquicken,

     Da sah ich jene drei vom höchsten Rang,
Dies zeigte die Gebärd’, uns nahe kommen,
Den Engeltanz begleitend mit Gesang.

     "Beatrix, laß den Blick, den heil’gen, frommen,"
So sangen sie, "auf deinen Treuen sehn,
Der dich zu schau’n so hoch emporgeklommen.

     Enthüll’ aus Gnad’ ihm deinen Mund, wir fleh’nl
Die zweite Schönheit, die du noch verborgen,
O laß sie auf vor seinen Augen gehen!"

     O Glanz lebend’gen Lichts! o ew’ger Morgen!
Wer trank so tief aus des Parnassus Flut,
Wer ward so bleich in seinen Müh’n und Sorgen,

     Daß er vermag, mit freiem, kühnem Mut
Sich deiner Schilderung zu unterfangen,
Wenn du bei Himmelsharmonien in Glut

     Den unbewölkten Lüften aufgegangen?



ZWEIUNDDREIßIGSTER GESANG
 

    Den zehenjähr’gen Durst zu löschen, hingen
An ihrem Reiz die Augen, so voll Gier,
Daß mir die andern Sinne ganz vergingen.

     Seitwärts baut’ eine Mauer dort und hier
Nichtachtung auf, denn mit dem Netz, dem alten,
Zog mich ihr heil’ges Lächeln hin zu ihr.

     Da wandten mir die himmlischen Gestalten
Mit Macht nach meiner Linken das Gesicht,
Mit diesem Ruf: Im Schauen Maß gehalten!

     Nun stand ich dort wie einer, den das Licht
Der Sonne mit dem Flammenpfeil geblendet,
Und dem zunächst die Sehkraft ganz gebricht.’

     Doch als das wen’ge sie mir neu gespendet--
Nach jenem vielen wenig und gering,
Von dem ich mit Gewalt mich abgewendet--

     Da sah ich, das ruhmvolle Kriegsheer fing
Sich rechts zu kehren an, indem’s den Lichten,
Den sieben, nach, der Sonn’ entgegenging.

     Wie, wenn die Scharen auf den Sieg verzichten,
Sie unterm Schild sich mit der Fahne dreh’n,
Eh’ sie, geschwenkt, sich ganz zum Rückzug richten,

     So war die Schar des Himmelreichs zu sehn,
Und eh’ sich um des Wagens Deichsel legte,
Sah man den Zug vor’ und vorübergehn.

     Die sieben Frauen rechts und links, bewegte
Der Greif die heil’ge Last mit stiller Macht,
So daß an ihm sich keine Feder regte.

     Ich, Statius, sie, die mich zum Furt gebracht,
Wir leiteten dem Rade nach die Schritte,
Das, umgeschwenkt, den kleinern Bogen macht.

     So ging es durch des hohen Waldes Mitte,
Öd’, weil der Schlang’ einst Eva Glauben gab,
Und Engelsang gab Maß für unsre Tritte.

     Dreimal so weit nur, als ein Pfeil herab
Vom Bogen fliegt, war nun der Zug gekommen,
Und Beatrice stieg vom Wagen ab.

     "Adam!" so ward ein Murmeln rings vernommen,
Und einen Baum, von Laub und Blüten leer,
Umringt’ im Kreise nun die Schar der Frommen.

     Sein Haar verbreitet sich so mehr, je mehr
Er aufwärts steigt, hoch, daß er selbst den Indern
Durch seine Höhe zum Erstaunen war’.

     "Heil dir, o Greif, mit deinem Schnabel plündern
Willst du nicht diesen Baum, der Süßes zwar
Dem Gaumen gibt, doch Marter dann den Sündern."

     So rief rings um den starken Baum die Schar.
Und er, in dem sich Leu und Aar verbunden:
"So nimmt man jedes Rechtes Samen wahr."

     Die Deichsel, wo ich ziehend ihn gefunden,
Schob er zum öden Stamm und ließ am Baum,
Aus ihm entnommen, sie an ihn gebunden.

     Wie unsre Pflanzen, wenn zum Meeressaum
Das große Licht sich senkt, von dem umschlossen,
Das nach den Fischen glänzt am Himmelsraum,

     Sich üppig bläh’n zu neuen jungen Sprossen,
Jede gefärbt nach der Natur Gebot,
Eh’ Sol den Stier erreicht mit seinen Rossen;

     So, mehr als Veilchen zwar, doch minder rot
Als Rosenglut, erneute sich die Pflanze,
Die erst verwaist erschien und kahl und tot.

     Und wie sie nun erblüht’ im neuen Glanze,
Ertönt’ ein nie gehörter Lobgesang,
Doch nicht ertrug mein müder Sinn das Ganze.

     Könnt’ ich euch malen, wie mit süßem Klang
Von Pan und Syrinx einst Merkur den Späher,
Den unbarmherz’gen, zum Entschlummern zwang,

     So zeigt’ ich, wie nach einem Urbild, eher,
Wie jener Sang in Schlummer mich gebracht,
Doch das Entschlummern sing ein bessrer Seher.

     Ich springe bis zur Zeit, da ich erwacht,
Da mir ein Glanz zerriß den dunkeln Schleier,
Und eine Stimme rief: Steh auf, hab’ acht!

     Wie zu der Blut’ des Baums, des Apfel teuer
Den Engeln sind, den nichts erschöpfen kann,
Der Speise gibt zur ew’gen Hochzeitsfeier,

     Geführt, Jakobus, Petrus und Johann
Aus ihrer Ohnmacht bei dem Wort erstanden,
Bei dessen Klang wohl tiefrer Schlaf entrann,

     Und nun vermindert ihre Schule fanden.
Denn Moses und Elias waren fort,
Und ihren Herrn in anderen Gewanden;

     So ich--und über mich gebogen dort
Stand jetzt die Schöne, wie um mein zu hüten,
Die mich geführt entlang des Flusses Bord.

     "Wo ist Beatrix?" rief ich, und mir glühten
Vor Angst die Wangen. "Auf der Wurzel", sprach
Die Schöne, "sitzt sie unter neuen Blüten.

     Sieh hin, wer sie umgibt. Dem Greifen nach
Entfloh’n empor die anderen, mit Sange,
Der süßer, tiefer klang, als dort am Bach.

     Ob sie noch mehr gesprochen und wie lange,
Nicht weiß ich es, denn mir im Auge stand
Sie, die mein Ohr versperrte jedem Klange.

     Sie saß allein auf jenem reinen Land,
Wie’s schien, zur Hut des Wagens dort gelassen,
Den an den Baum der Zweigestalt’ge band.

     Die sieben Nymphen sah ich sie umfassen,
Im Kreis, die Lichter haltend, die vom Zwist
Des Nord- und Südwinds nie sich löschen lassen.

     "Als Fremdling weilst du dort nur kurze Frist
Und wirst mit mir als ew’ger Bürger bleiben
In jenem Rom, wo Christus Römer ist.

     Zum Heil der Welt mit ihrem bösen Treiben
Schau’ auf den Wagen, um, was du gesehn,
Zurückgekehrt, den Menschen zu beschreiben."

     Beatrix sprach’s--wie könnt’ ich widerstehn?
Ganz so, wie’s der Gebieterin gefallen,
Ließ ich voll Demut Geist und Auge gehn.

     Nicht sah man je so schnell aus Himmels Hallen.
Aus dichter Wölk’, ein flammendes Geschoß,
Den Blitz aus fernster Höhe niederfallen,

     Als auf den Baum Zeus’ Vogel niederschoß,
Nicht wühlend bloß in Blüten und in Blättern,
Die Rind’ auch brechend, die sein Mark umschloß.

     Dann sah man ihn zum Wagen niederschmettern,
Der bei dem Stoße rechts und links sich bog,
Gleich einem Schiff im Kampf mit wilden Wettern.

     Dann war ein Fuchs, der jähen Sprunges flog,
Ins Innre selbst des Wagens eingebrochen,
Wohin ihn Gier nach beßrer Speise zog.

     Doch mit dem Vorwurf des, was er verbrochen,
Trieb meine Herrin ihn so eilig fort,
Als laufen konnten seine magern Knochen.

     Und nochmals stürzte von dem hohen Ort,
Wie schon vorhin, der Adler in den Wagen,
Und ließ ihm viel von seinen Federn dort.

     Und wie aus banger Brust der Laut der Klagen,
Klang aus dem Himmel eine Stimm’ und sprach:
"Mein Schifflein, schlechte Ladung mußt du tragen!"

     Und unten, zwischen beiden Rädern, brach
Der Erde Grund, ausspeiend einen Drachen,
Der nach dem Wagen mit dem Schwanze stach.

     Dann zog er ihn zurück, wie’s Wespen machen,
Nahm einen Teil des Bodens mit und schien,
Von dannen eilend, des Gewinns zu lachen.

     Der Rest des Wagens blieb, doch sah man ihn
Mit Federn, die wohl reiner Sinn gespendet,
Wie üppig Land mit Gras, sich überzieh’n.

     Und dieses Werk war so geschwind vollendet,
Und voll die Deichsel und das Räderpaar,
Bevor die Brust ein Oh! und Ach! beendet.

     Und Häupter trieb, als er verwandelt war,
Der Wagen vor, an den vier Ecken viere,
Drei aber nahm man auf der Deichsel wahr,

     Die letzten drei gehörnt wie die der Stiere,
Die ersten vier mit einem Horn versehn;
So glich er nie geschautem Wundertiere.

     Und sicher, wie auf Bergen Schlösser stehn,
Saß eine zügellose Hure drinnen
Und ließ umher die flinken Augen späh’n.

     Und, gleich, als solle sie ihm nicht entrinnen,
Stand ihr zur Seit’ ein Ries’, und diese zwei
Sah ich sich küssen und sich zärtlich minnen.

     Allein, weil sie die Augen gierig frei
Auf mich gewandt, schlug sie der wilde Freier
Vom Kopf zum Fuß mit wütendem Geschrei.

     Drauf löst’ er ab vom Baum das Ungeheuer,
Von Argwohn voll und wildem Zorn und Arg,
Und zog es durch den Wald, des dichter Schleier

     Die Hure samt dem Wundertier verbarg.



DREIUNDDREIßIGSTER GESANG
 

    Herr, eingefallen sind die Heiden! fingen,
Abwechselnd drei und vier, mit süßem Klang,
Doch tränenvoll, die Frauen an zu singen.

     Beatrix horchte schweigend dem Gesang,
Verwandelt wie Maria, die mit Grauen
Des Mutterschmerzes unterm Kreuze rang.

     Doch als nun ihrem Wort die andern Frauen
Erst Raum gegeben, sah ich sie erstehn,
G’rad’, aufrecht, gleich dem Feuer anzuschauen.

     " Über ein kleines sollt ihr nicht mich sehn,
Und wiederum, ihr Schwestern, meine Lieben,
Über ein kleines werdet ihr mich sehn."

     Sie sprach’s und stellte vor sich alle sieben,
Und hinter sich, durch ihren Wink allein,
Die Frau, mich und den Weisen, der geblieben.

     Sie ging, doch mochten’s kaum zehn Schritte sein,
Die sie gegangen und uns gehen lassen,
Da blitzt’ ins Auge mir des ihren Schein.

     "Geh itzt geschwinder," sagte sie gelassen,
"Komm näher her, daß, red’ ich nun mit dir,
Du wohl vermögend seist, mein Wort zu fassen."

     Kaum war ich, wie ich sollte, nah bei ihr,
Da sprach sie: "Bruder, bist mir nah gekommen,
Doch zu erfragen wagst du nichts von mir?"

     Wie wenn von zuviel Ehrfurcht schwer beklommen
Mit seiner Obrigkeit ein niedrer Mann
Halblaut und stockend spricht und kaum vernommen,

     So sprach ich jetzt, da ich zu ihr begann:
"O Herrin, Ihr erkennt ja mein Verlangen,
Und was ich brauch’, und was mir frommen kann."

     Und sie: "Mach’ itzt dich los von Scham und Bangen,
Ich will’s, und rede sicher nun und klar,
Und nicht wie einer, der im Traum befangen.

     Der Wagen, den die Schlange brach, er war,
Doch wer dies zu verschulden sich nicht scheute,
Er fürchte Gottes Rach’ auf immerdar!

     Nicht immer sonder Erben wird, wie heute
Der Adler sein, der ihm die Federn ließ,
Drob er erst Ungeheuer ward, dann Beute.

     Schon nahen Sterne sich--wie ich’s gewiß
Im Geist erkannt, so sei es ausgesprochen--
Da kommt, von Schranke frei und Hindernis,

     Fünfhundert fünf und zehn hervorgebrochen,
Ein Gottgesandter, der die Dirn’ erschlägt
Zusamt dem Riesen, der mit ihr verbrochen.

     Und hab’ ich jetzt dir Worte vorgelegt,
Wie Sphinx und Themis, schwierig zu erraten,
Daher dein Geist im Dunkel Zweifel hegt,

     So lösen bald dies Rätsel dir die Taten
Statt der Najaden auf, und unbedroht
Verbleiben drob die Herden und die Saaten.

     Merk’, was ich sagt’, und höre mein Gebot:
Du sollst es dort den Lebenden erzählen,
Im Leben, das ein Rennen ist zum Tod.

     Nicht sollst du, wenn du dorten schreibst, verhehlen,
Wie du den Baum gesehn. Erinnre dich:
Du sahst zu zweien Malen ihn bestehlen.

     Wer diesen Baum bestiehlt und freventlich
Verletzt, kränkt Gott mit tät’gen Lästerungen,
Denn er schuf heilig nur den Baum für sich.

     Für solchen Raub hat qualenvoll gerungen
Fünftausend Jahr und mehr der erste Geist
Nach ihm, des Tod des Bisses Fluch bezwungen.

     Wohl schlummert dein Verstand, wenn du nicht weißt,
So hoch sei jener Baum aus tiefen Gründen,
Wenn dir des Gipfels Bau dies nicht beweist.

     Und hätte nicht, wie Elsas Flut, mit Rinden
Von Stein dein Grübeln die Vernunft bedeckt,
Und war’ ihr Licht dir nicht getrübt von Sünden,

     So hättest du, was das Verbot bezweckt,
Und wie darin der Herr gerecht erscheine,
Am Baum durch solche Zeichen leicht entdeckt.

     Doch weil dein Geist verhärtet ist zum Steine,
Befleckt von Schuld, verworren und berückt
Und blöde bei der Wahrheit hellem Scheine,

     So nimm, zwar nicht als Wort, doch ausgedrückt
Als Bild, in dir die Rede mit von hinnen,
Wie man den Pilgerstab mit Palmen schmückt."

     Und ich: "So fest, als nur im Wachse drinnen
Das Bild sich hält, das drein das Siegel gräbt,
Trag’ ich, was ihr gezeichnet habt, hier innen.

     Doch was, wenn sich so hoch mein Blick nicht hebt,
Fliegt eu’r ersehntes Wort in solche Sphären,
Daß er es mehr verliert, je mehr er strebt."

     "Auf, daß du wissest, welcher Schule Lehren",
So sprach sie, "du gefolgt, und sehst, wie weit
Sie meinem Wort zu folgen sich bewähren;

     Und wie ihr fern mit eurem Wege seid
Von Gottes Weg, so fern, wie von der Erden
Des höchsten Himmels Glanz und Herrlichkeit."

     Und ich: "Nicht will’s mir klar im Geiste werden,
Daß ich mich je entfernt von eurer Spur;
Nicht fühl’ ich im Gewissen drob Beschwerden."

     "Entsinnst du dessen dich nicht mehr?" so fuhr
Sie lächelnd fort; "doch von der Lethe Fluten
Trankst du noch heute, des gedenke nur.

     Und, wie man richtig schließt vom Rauch auf Gluten,
So siehest du durch dies Vergessen klar,
Daß du dich abgewandt vom wahren Guten.

     Jetzt wahrlich stellt, von jeder Hülle bar,
Soviel, im engsten Kreise sich bewegend,
Dein Blick es fassen kann, mein Wort sich dar."

     Und flammender, sich trägem Schrittes regend,
Betrat jetzt Sol des Meridians Gebiet,
Das stets ein andres ist in andrer Gegend.

     Da standen still, wie, wer als Führer zieht
Vor einer Schar, sich schickt zum Stillestande,
Wenn er auf seinem Wege Neues sieht,

     Die sieben Frau’n an dichten Schattens Rande.
Wie grünbelaubt schwarzästig Waldgeheg
Auf kalte Flüss’ ihn fließt im Alpenlande.

     Euphrat und Tigris schien vor ihrem Weg
Sich aus derselben Quelle zu ergießen,
Sich dann, wie Freunde, trennend, still und träg.

     "O Licht, der Menschheit Ruhm, welch Wasser sprießen
Seh’ ich aus einem Ursprung hier und dann
Sich von sich selbst entfernend weiterfließen?"

     Auf diese Bitte hob Beatrix an:
"Mathilden bitt’,"--und diese sprach dagegen,
Wie wer vom Vorwurf leicht sich lösen kann:

     "Dies und noch anderes ihm auszulegen,
Versäumt’ ich nicht, was, des bin ich gewiß,
Der Lethe Wässer nicht zu tilgen pflegen."

     Beatrix drauf: "Die größre Sorg’ entriß,
Wie’s oft geschieht, dies seinem Angedenken
Und ließ sein geistig Aug’ in Finsternis.

     Doch Eunoe sieh--eil’, ihn dahin zu lenken,
Und, wie du immer pflegst, ihm durch die Flut
Mit Leben die erstorbne Kraft zu tränken."

     Wie ohn’ Entschuldigung, wer, mild und gut,
Als eignen Willen fremden aufgenommen,
Der sich durch Wink und Wort ihm zeigte, tut,

     So ging, nachdem sie mich am Arm genommen,
Die schöne Frau und sagte weiblich mild
Zu Statius: "Auch du sollst mit ihm kommen."

     Hätt’ ich, o Leser, Raum zu größerm Bild,
So würd’ ich dir zum Teil die Wonnen singen
Des Tranks, der Durst erregt, wenn er ihn stillt.

     Doch läßt sich nichts mehr auf die Blätter bringen,
Die ich zu diesem zweiten Lied erkor,
Drum hemmt der Zaum der Kunst mein Weiterdringen.

     Ich ging aus jener heil’gen Flut hervor,
Wie neu erzeugt, von Leid und Schwäche ferne,
Gleich neuer Pflanz’ in neuen Lenzes Flor,

     Rein und bereit zum Flug ins Land der Sterne.







Dante Alighieri - Opera Omnia  -   bearbeitet von ilVignettificio

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