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Übersetzt von Albert Ritter


I

[ Dante Alighieri an Johannes de Virgilio ]

    Schwarz sahn geschrieben wir auf weißem Blatte
Gesänge, lieblich quillend von dem Busen
Der Pierinnen und an uns gerichtet.
Zufällig stand ich unter einer Eiche
Mit Meliböus, zählend unsre Herde
Von satten Ziegen. Meliböus wünschte
Mit mir das Lied zu hören. „Was will Mopsus?
Mein Tityrus, sprich, was er will“, – begann er.
Ich lacht’, o Mopsus. Und nun drängt er mehr noch.
Aus Liebe mich zuletzt ergebend, kaum
Das Lachen zügelnd: „Törichter, du rasest,
Dich fordern deine Ziegen ja; sie einzig
Sind deine Sorge, – sprach ich, – wenn dir gleich
Die karge Mahlzeit auch zu denken gibt.
Die Weiden kennst du nicht, die mit dem Gipfel
Der Mänalus die Sonn’ einhüllend dunkelt,
Die Gras und Blumen tausendfarbig schmücken;
Ein unter Weidenbüschen stillverborgnes
Bescheidnes Bächlein, dessen auf dem Gipfel
Des Bergs von selbst geborne Wasser Bahn
Sich brechen, wo es dann hinwallet langsam,
Und die Gestade seines Stromes netzt,
Mit unversiegendem Erguß umgibt sie.
Dort, während seine Rinder scherzend wandeln,
In weichem Wiesengras, betrachtet Mopsus
Die Werke so der Menschen wie der Götter.
Dann schließt er ein in die geschwellten Rohre
Die Freuden seiner Brust, so daß die Herde
Dem süßen Sange folgt Berg ab und Tal,
Gezähmt die Löwen stürzen, daß die Flüsse
Nacheilen ihm, die Wälder und die Berge
Des Mänalus Stirn so wie Wipfel neigen.“
Drauf gab er Antwort: „Tityrus, wenn Mopsus
Oft singt auf Wiesen, die mir unbekannt sind,
Kann ich, von dir belehrt, mein schweifend Vieh
Doch jene unbekannten Sänge lehren.“ –
Was soll ich tun bei so begier’gem Trachten?
„Aonischem Gebirge weiht sich Mopsus,
O Meliböus, jährlich, während andre
Sich sätt’gen auf dem Markt an Rechtsbelehrung,
Und blasset in des heil’gen Haines Schatten.
Gebadet in der Flut, die den Poeten
Leben verleiht, und voll des Sängerchors
Die Kehl’ und Adern, ruft er mich zum Laube,
Das durch Verwandlung sproß am Strom Penelos.“
„Was wirst du tun?“ begann er. „Willst die Flur du
Als Hirt durchwandern, unbekränzt vom Lorbeer?“
„Der Dichter Kranz und Namen, Meliböus,
Verschwindet oft, und selbst die Musen wagten
Den Mopsus kaum als schlummerlos zu bilden.“
Kaum hatt’ ich’s ausgesagt, als solcher Weise
Mein Zorn in Wort’ ausbrach: „Wie werden Hügel
Und Au’n ertönen, wenn umgrünt die Stirne
Mit Lautenklang ich Phöbus’ Hymnen wecke!
Doch beb’ ich vor den Hainen und den Stätten,
Den gottvergessenen. Und wär’s nicht besser
Als Triumphator, wenn ich wiederkehre
Ins Vaterland, die Haare mir zu schmücken,
Die weißen, die einst blond am Arno waren?“
Und er: „Wer zweifelt dran? Jedoch bedenke,
Mein Tityrus, die Flüchtigkeit der Stunden.
Es altern schon die Ziegen, die den Böcken
Wir überließen, daß sie Mütter würden.“
Und ich antwortete: „Sobald die Feier
Vollbracht ist durch mein Lied – der Schatten, welche
Die Flut umkreiset, und der sel’gen Geister,
Sowie bereits der unterird’schen Reiche:
Dann frommt’s, die Stirn mit Lorbeer mir und Epheu
Zu gürten. Wird es Mopsus mir vergönnen?“
„Wie? Mopsus!“ – sprach der andre. – „Siehst du nicht,
Wie er mißbilligt die gemeine Rede,
Als ob sie niedrig und gemein erklänge
Von Weibeslipp’, als ob die Pierinnen
Schamrot sich weigerten, sie anzunehmen?“
„Er wird es“, sprach ich, und las deine Verse
Noch einmal, Mopsus. Achselzuckend aber
Erwidert er: „Wie wenden wir denn Mopsus?“ –
„Ich hab’“, antwortet’ ich, „in meiner Herde
Den dir bekannten Liebling, welcher kaum
Die schweren Euter tragen kann, so schwellen
Von Milch sie. Dort am mächt’gen Felsen steht er
und käuet wieder die gerupften Kräuter.
Dem Haufen nicht sich einend, und zum Stalle
Sich nicht gewöhnend, pflegt er sich zum Eimer
Von selbst zu stellen sonder Zwangsbedürfnis.
Sieh, dessen Euter denk’ ich jetzt zu melken,
Und zehn der Maße mit der Milch erfüllend
Dem Mopsus sie zu senden. Nimm dich dieser
Mutwill’gen Böck’ und Ziegen an indessen.
Und wetze deinen Zahn für fremde Krusten.“ –
So unter einer Eiche sangen ich
Und Meliböus, während unsre Suppe
Am Feuer in der kleinen Hütte kochte.



II

[ Dante Alighieri an Johannes de Virgilio ]

    Sein goldnes Kolchervlies enthüllet spendend
Zog Titans goldnen Wagensitz der Leichtfuß
Eous samt den andern Flügelrossen.
Das Gleis nun, das vom hohen Himmel sich
Zu senken anfing, hielt in gleichem Schweben
Die Räder hier und dorten, und dem Glutstrom,
Der von den Schatten pflegt zu weichen, wichen
Die Schatten, und es siedeten die Fluren:
Da floh mit Tityrus, Alphesiböus
Mit sich und mit der Herde Mitleid habend
Zum dichten Hain der Eschen und der Linden
Und der Platanen; und indes die Lämmer
Und Zicklein, sich zu einem Haufen mischend,
Ausruhten in dem Gras und mit den Rasen
Einatmeten die Luft, erwartete
Der alte Tityrus des Schlummers Düfte.
Matt in des Ahorns Schatten und sich stützend
Auf einen Knotenstock vom Ast des Birnbaums
Stand er, Alphesiböus zu vernehmen.
Und er begann nun: „Wie der Menschen Seelen
Zu den Gestirnen, wannen sie entstammen,
Die Körper zu beleben, wiederkehren,
Wie es den Schwänen, wenn bei Himmels Milde
Sie durch des Sumpfes Tal hinziehn, gefalle,
Kaïstros Flut mit Sange zu beleben,
Wie sich des Meeres Fische, wo die Flüsse
Eintreten ins Gebiet des Nereus, einend
Die Flut verlassen, wie Hyrkaniens Tiger
Den Kaukasus mit Blut besudeln, Lybiens
Erdreich die Natter mit den Schuppen fegt;
Drob nicht ergreift mich Staunen, pflegt doch
Jedweder mit Vergnügen dem zu folgen,
O Tityrus, was seinem Wesen zusagt.
Wohl aber nimmt mich Wunder, und mit mir
All’ andre Hirten von Sizilien,
Daß der Zyklopen dürr Gestein am Ätna
Den Mopsus fesselt.“ Sprach es, und indem,
Erhitzt und langsam mit beklemmter Kehle,
Sprach Meliböus, doch mit Müh’ das Wort
Vorbringend: Tityrus! – Die Greise lachten
Des jungen Tons, wie die Sikaner, als sie
Sergestus von dem Fels gerissen sahn.
Drauf hob der Alte von dem grünen Rasen
Das Silberhaar, und sprach zu jenem, welcher
Aus offner Nase blies: „O du, zu Junger,
Welch neue Ursach trieb dich an, die Bälge
Der Brust mit so geschwinden Atemzügen
Zu peinigen?“ – Er nun dagegen sagte
Kein einzig Wort; doch als er seinen Lippen,
Den zitternden, genähert die Schalmei,
Die er in Händen hielt, erscholl den Ohren
Ein einfach Säuseln bloß. Als sich der Jüngling
Kläng’ aus dem Rohr zu locken mehr bemüht,
(Ein Wunder, dennoch Wahrheit werd’ ich sagen),
Entluden der Schalmei sich diese Worte:
„Ich weilt’ am Fuße der benetzen Hügel“ –
Und hätte Tityrus ins Rohr noch dreimal
Gehaucht, der Felder schweigende Bewohner
Hätt’ er beseliget mit hundert Liedern,
Wie sich’s Alphesiböus eingebildet,
Der an den Tityrus gewendet ihm
Den Vorwurf machte: „O ehrwürd’ger Greis,
Wirst du es wagen, des Pelorums feuchte
Gefilde gegen der Zyklopen Höhle
Zu tauschen?“ - Er darauf: „Was zweifelst du?
Warum, Geliebter, willst du mich versuchen?“ –
Alphesiböus drauf: „Bemerkst du nicht,
Wie in der Flöte Ton die Kraft der Gottheit
Erklingt, und wie er gleicht den mit Geflüster
Entspross’nen Rohren, die da offenbarten
Des Königs Eselsohren, der auf Bacchus’
Geheiß Paktolus’ Sand vergolden konnte?
Glücksel’ger Greis, o schenke nicht Vertrauen
Dem falschen Schmeichelworte, das dich ladet
Zu dem mit Ätnas Fels bedeckten Ufer.
Mit deiner Herd’ und mit des Ortes Nymphen
Hab’ Mitleid! Dich Abwesenden beweinen
Die Hügel samt den Wäldern und den Flüssen,
Und mit mir die Dryaden, die noch Ärgres
Befürchten, und ein Ende hat die Mißgunst,
Die gegen uns hegt selber der Pachinus.
Und uns, die Hirten, wird es schmerzen, dich
Gekannt zu haben. O glücksel’ger Greis,
Verlaß die Quellen nicht und Weiden, die
Berühmt geworden schon durch deines Namens
Unsterblichkeit.“ Und Tityrus dagegen:
„O du, der nach Verdienst mehr als die Hälfte
Von diesem Busen bist“ (auf seinen zeigt’ er),
„Vereint mit gleicher Neigung ist mir Mopsus
Durch jene, die erschrocken dem Pyreneus,
Dem unheilvoll nachspringend, entflohn. –
Beim Rubikon, auf dessen linkem Ufer,
Denkt’ er mich wohnend, auf des Padus rechtem,
Dort wo Aemilia schließt am Adria.
Laut preist er mir des Ätna-Ufers Weiden,
Und weiß nicht, daß wir beide hier auf gras’gem
Sizilianerberge leben, dem
An Fruchtbarkeit für Rinder und für Schafe
In ganz Trinakria keine Gegend gleich ist.
Doch wären auch nicht vorzuziehen dem grünen
Pelorum Ätnas felsige Gesteine;
Doch ging’ ich hin, den Mopsus zu besuchen,
Und ließ’ hier meine Herde, scheut’ ich nicht
Dich, Polyphemus.“ – Drauf Alphesiböus:
„Wer möchte nicht vor Polyphemus beben,
Ihm, der mit Menschenblut die Lefze fleckte.
Ach, seit der Zeit, wo Galatea ihn
Des armen Acis Glieder sah zerfleischen?
Mit Müh’ entkam sie. Hätt’ ihn wohl der Liebe
Gewalt bezwungen, da so weit ihn fortriß
Das wilde Toben? Konnte doch nur eben
Das Leben Achämenides erretten,
Erblickend, wie in grausem blut’gem Eifer
Die Fahrtgenossen hingemetzelt wurden!
Dich fleh’ ich an, mein Leben, fasse dich
Nicht solch Gelüst, damit der Rhenus habe
Und dess’ Najade dies erlauchte Haupt,
Dem schon der Winzer abzuschneiden eilet
Das nimmerwelke Laub des heil’gen Lorbeers.“ –
Und Tityrus mit Lächeln und ihm ganz nun
Huldreich geworden, nahm die weisen Reden
Des großen Hirten auf mit tiefem Schweigen.
Doch weil gesenkt des Phöbus schöne Zelter
Die Luft durchschnitten und die Schatten schon
Von allen Dingen in die Weite reichten;
Verließen Büsche samt schon kalten Tälern
Die Hirten, hinter ihren Herden wandelnd.
Von weichen Auen waren auf der Rückkehr
Die zott’gen Zicklein an der Herden Spitze.
Unfern indessen hatte sich verborgen
Jolas, der verschlagne, der sich alles
Merkt’, alles uns erzählt’. Und, wie er uns,
So haben wir es, Mopsus, dir gekündet.






Dante Alighieri - Opera Omnia  -   bearbeitet von ilVignettificio

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